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Wespen, Stachel und warum sie faszinieren

PD Dr. Michael Ohl, Foto: HwaJa Götz

Sie sind gerade in aller Munde, im Fernsehen, im Radio und besonders auf unserem Kuchen: die Wespen beschäftigen gerade viele Menschen. Deshalb haben wir den Wissenschaftlichen Leiter unserer Sammlung Hymenoptera, also der Hautflügler wie Wespen, Bienen und Ameisen, um einen kleinen Einblick in seine Arbeit und die Welt der Wespen gebeten. 

Michael, du bist Kurator für Wespen, Bienen und Ameisen am Museum für Naturkunde und hast gerade dein Buch „Stachel und Staat“ veröffentlicht. Was fasziniert dich besonders an den Hautflüglern?

Da weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll. Hautflügler und unter ihnen besonders die stechenden Wespen sind Wunderwerke der Evolution. Sie sind mit mehreren zehntausend schon bekannten Arten enorm vielfältig, und es hat mich immer schon fasziniert, welche Vielzahl unterschiedlicher Anpassungen rund um das Erfolgsmodell Wespe entstanden sind. Zudem sind Wespen in den Wüsten der Welt besonders artenreich, und ich mag Wüsten sehr gerne.

Warum ist der Stachel die wichtigste Erfindung dieser Insektengruppe?

Erst der Stachel erlaubte es den sozialen Wespen, Bienen und Ameisen, individuenstarke Staaten zu bauen. Wenn viele Insekten und ihre Larven und deren Futter auf engem Raum zusammenleben, ist das eine attraktive Beute für räuberische Tiere wie den Honigdachs. So etwas muss verteidigt werden, und der Stachel und die damit injizierten Stachelgifte sind ein wirksamer Schutz gegen die meisten Feinde.

Überall liest man gleichzeitig vom Insektensterben und einer angeblichen Wespenplage. Wie passt das zusammen?

Tatsächlich geht es auch bei uns den Insekten generell nicht gut, und alle Daten zeigen nachdrücklich, dass die Insektenvielfalt und die Insektenmasse dramatisch abnehmen. Bei der sogenannten Wespenplage handelt es sich aber nur um das gehäufte Auftreten von Arbeiterinnen zweier Arten von sozialen Wespen. Beide Arten, die Deutsche und die Gemeine Wespe, profitieren von einem trockenen, heißen Sommer und treten dann als Kulturfolger in unseren Städten vermehrt auf. Das sollte aber nicht darüber hinweg täuschen, dass es den Insekten derzeit nicht gut geht.

Auf Twitter fragt heute jemand: „Sind Wespen eigentlich irgendwie nützlich“? Was würdest du antworten?

Diese Frage wird mir auch häufig gestellt. Darauf kann man viele Antworten geben, aber die wichtigste ist sicherlich, dass Wespen als Teil der Natur im Laufe der Evolution entstanden sind und es bereits durch ihre bloße Existenz klar ist, dass sie wie die anderen Arten auch Teil des großen Netzwerks des Lebens sind. Wenn man es etwas genauer haben möchte, ist es besonders die Ernährung der Wespenlarven mit Insekten. Ein Wespenstaat kann enorme Mengen an Raupen, Fliegen und anderen Insekten vertilgen und damit auch viele für uns Menschen schädliche Insekten.

Die Honigbiene als Bestäuberin wird von Vielen als positiv und schützenswert angesehen. Warum haben es die Wespen so viel schwerer?

Neben der Honigbiene gibt es alleine in Deutschland noch rund 550 Arten von Wildbienen, und bis auf wenige Ausnahmen tragen sie alle Pollen und Nektar für ihre Larven ein. Sie sind dafür meist stark behaart und wirken puschelig und gemütlich. Wespen dagegen produzieren keinen Honig und sie tragen auch in einem viel geringeren Maße zur Bestäubung der Blumen bei. Sie sind unbehaart und wirken viel unzugänglicher. Ich denke aber, dass die mediale Vermarktung und Popularisierung durch die Biene Maja und andere Filme zudem dazu beigetragen hat, das Image von der guten Biene und der bösen Wespe zu prägen.

Hornissen sind in Deutschland die größte Wespenart. Gerade werden einige Fälle bekannt, wo sie Menschen angegriffen haben. Müssen wir eigentlich mehr Angst vor ihnen als vor Wespen haben?

Nein, es gibt keinen Anlass, sich vor Hornissen mehr zu fürchten als vor den übrigen, kleineren Wespen. Sie sind eigentlich friedliche Insekten, die ihren Geschäften am Nest nachgehen und sich noch nicht einmal durch einen Pflaumenkuchen locken lassen. Wir Menschen interessieren sie eigentlich gar nicht. Ereignisse wie die, von denen in der Presse berichtet wurde, sind seltene Unfälle, die meist dadurch entstehen, dass die Menschen die nötige, respektvolle Distanz zu den Hornissen unterschreiten. Und dann wehren sich auch die an sich friedlichen Hornissen. 

Was ist dein Tipp für ein entspanntes Stück Kuchen auf der Terrasse?

Wenn es nur ein oder zwei Wespen sind, würde ich sie entspannt gewähren lassen. Sie interessieren sich für die süßen Sachen, und nach einiger Zeit verschwinden sie dann auch wieder. Werden es deutlich mehr, ist es verständlicherweise vorbei mit der Gelassenheit. Auch bei mir. Man kann gut einige der alten Hausmittel probieren, wie zum Beispiel das Verbrennen von Kaffeesatz, und manches Mal wird man eine Besserung der Situation feststellen. Wenn das nicht hilft, hilft eigentlich nur die Flucht.

Am Montag hat Mark Benecke bei seinem Abendvortrag für mehr Insektenliebe geworben. Wie würdest du jemandem, der Angst vor Wespen und anderen Insekten, hat die Liebe zu ihnen schmackhaft machen?

Ich bin überzeugt davon, dass Wissen und genau Hinschauen häufig schon helfen, sich von Insekten bezaubern zu lassen. Liebe zu erwarten ist vielleicht etwas weit gegriffen, aber ich rate allen, die Angst vor Wespen haben, sich einmal die Zeit zu nehmen und sich die Wespe auf dem Pflaumenkuchen einmal in Ruhe anzuschauen. Vielleicht anfänglich nicht zu nah heran gehen, aber eigentlich interessiert sich die Wespe mehr für die Marmelade als den Menschen. Und dann wird man sehen, was für ein Wunderwerk der Evolution auch Wespen sind. Und dass man ihnen trotz ihres Stachels mit Respekt und Wohlwollen entgegentreten sollte. Und nicht zuletzt sollte man sich in Naturkundemuseen und in Büchern wie meinem „Stachel und Staat“ einmal informieren, wie Wespen als Teil der Natur agieren. Da kann man nur staunen.  

Das Bild von Wespen ist in Deutschland ja sehr durch die beiden sehr präsenten und gerade oft als lästig empfundenen Arten Deutsche Wespe (Paravespula germanica) und die Gemeine Wespe (Paravespula vulgaris) egprägt. Weltweit gibt es aber mindestens 700 Arten sozialer Wespen. Welche sind deine Lieblinge und warum?

Meine Lieblingswespen sind gerade nicht die sozialen Wespen, sondern die vielen tausend Arten von solitären Wespen. Bei denen baut jedes Weibchen nur ein einzelnes, kleines Nest, trägt dort Futter für die Larven ein, legt ein Ei darauf, verschließt das Nest und überlässt die Kinderstube sich selber. Alleine von Grabwespen, die eine Gruppe solitärer Arten sind, kennen wir bereits 10.000 Arten, die besonders in den Wüsten der Welt verbreitet sind. Aber auch bei uns in Deutschland gibt es bereits rund 250 Arten von Grabwespen. Das ist eine enorm vielfältige und faszinierende Wespengruppe!

PD Dr. Michael Ohl ist am Museum für Naturkunde Wissenschaftlicher Leiter der Sammlung für Hautflügler und Netzflügler. Sein Forschungsschwerpunkt liegt u.a. auf der Taxonomie, Phylogenie und Evolution der Hautflügler. Insbesondere interessieren ihn die hochdiversen Grabwespen. Außerdem ist Michael Ohl Kommissarischer Leiter des 2018 neu gegründeten Zentrum für Integrative Biodiversitätsentdeckung am Museum für Naturkunde. Im Sommer 2018 veröffentlichte er das Buch "Stachel und Staat" - eine leidenschaftliche Naturgeschichte von Bienen, Wespen und Ameisen. Für das Buch hat Bernhard Schurian, Fotograf, Spezialist für Digitalisierung und Insektenliebhaber am Museum für Naturkunde zahlreiche, faszinierende Makroaufnahmen von Wespenarten der ganzen Welt gemacht. Ein kleiner Einblick:

  • Trauerbiene 2.	Melecta luctuosa, Foto: Bernhard Schurian
  • Spinnenameise Dasymutilla occidentalis, Foto: Bernhard Schurian
  • Grabwespe Chlorion lobatum, Foto: Bernhard Schurian
  • Sand-Goldwespe Hedychrum nobile, Foto: Bernhard Schurian
  • Feldwespe Polistes dominulus, Foto: Bernhard Schurian

Im Gespräch mit Wespenforscher Michael Ohl

Wo findet man die größte Wespe der Welt? Ist sie lebensgefährlich? Wie gefährlich sind unsere Wespen hier in Deutschland? Und was hat Bier mit Wespen zu tun? Lisa Rufus alias die Klugscheisserin hat ihre Fragen an Wespenforscher Micheal Ohl gestellt. Hier finden Sie das Video: