Den diesjährigen US-amerikanischen Poesiepreis von Cave Canem gewinnt Brandon Kilbourne, Evolutionsbiologe am Museum für Naturkunde Berlin. Sein Gedichtband „Natural History“ legt Zeugnis davon ab, wie die Erforschung der natürlichen Welt mit den Schrecken der Sklaverei und des Kolonialismus verwoben war. Das Buch wird im Herbst 2025 bei Graywolf Press, einem führenden Non-Profit-Verlag in den USA, veröffentlicht.
Die naturkundlichen Objekte in der Forschungssammlung des Museums für Naturkunde Berlin sind eine einzigartige Quelle für poetische Inspiration. Evolutionsbiologe Brandon Kilbourne wählt die ausgestellten afrikanischen Dinosaurier, insbesondere den hoch aufragenden Giraffatitan brancai, sowie die Säugetiersammlung des Museums für sein Schaffen aus. Er verarbeitet in seiner Gedichtsammlung sowohl die Evolutionsgeschichte der Objekte als auch ihre Herkunftsgeschichte. Auch Objekte aus Kopenhagen und New York verwendete Kilbourne um zu untersuchen, wie Naturkunde historisch mit Kolonialismus und transatlantischer Sklaverei verflochten war.
„Meine Gedichte werfen einen kritischen Blick auf vergangene Praktiken in der wissenschaftlichen Erforschung der Naturgeschichte. Sie werfen die Frage auf, wie sich die von Neugier getriebene Forschung und die Wertschätzung für die biologische Vielfalt mit dem Kolonialismus in Einklang bringen lassen“, sagt Kilbourne. „Ich würde sagen, dass es keine klare Antwort gibt, aber ich hoffe, dass meine Arbeit dazu anregt, über diese Fragen und die verschiedenen Perspektiven nachzudenken.“
Die Verwendung von Gedichten zur Erforschung der Vergangenheit der Naturgeschichte stand im Mittelpunkt der Entscheidung der Preisrichterin Natasha Trethewey, den Gedichtband Natural History für den Cave Canem Prize auszuwählen. Trethewey, ehemalige US-Dichterin und Gewinnerin des Pulitzer-Preises 2007, ist selbst eine führende Stimme, wenn es um die Verwendung von Gedichten zur Erforschung der Komplexität der Geschichte geht. In ihrer Begründung als Jurymitglied stellt Trethewey fest, „dass Kilbourne am Berliner Museum für Naturkunde die Artefakte und ihre Bedeutung untersucht hat. Das Ergebnis ist eine komplexe Betrachtung über das Wunder und die Verwüstung der Natur sowie eine Elegie von einem Beobachter, der mit klarem Blick sieht, wie sich das Verschwinden der Natur auf der Erde ankündigt.“
„Für jemanden wie mich, der eine formale Ausbildung in Naturwissenschaften und nicht im kreativen Schreiben hat, ist der Gewinn des Cave Canem Prize etwas ganz Besonderes“, so Brandon Kilbourne. „Was diese Auszeichnung jedoch zu einer noch außergewöhnlicheren Ehre macht, ist, dass die Dichterin Natasha Trethewey die Auswahl von Natural History für den Cave Canem Prize getroffen hat. Das unterstreicht die Gemeinsamkeiten in Form von Ehrfurcht, Neugier und Beobachtung, die zwischen Poesie und Wissenschaft bestehen, sowie die Fähigkeit beider Disziplinen, sich gegenseitig zu bereichern. Es zeigt auch, dass naturkundliche Objekte würdige Themen für die Poesie sind.“