Direkt zum Inhalt

Kleine Tiere ganz groß: Vier für Inforadio

Etwa 1,5 Millionen Tier- und Pflanzenarten sind bereits entdeckt, beschrieben und benannt worden, aber es warten noch Millionen von Arten auf ihre Entdeckung. Erst die „Taufe“ einer Tierart mit einem wissenschaftlichen Namen macht sie der Wissenschaft zugänglich. Manche wissenschaftliche Namen wie Homo sapiens und Gorilla gorilla sind uns allen vertraut, aber wer außer den Vogelkundlern weiß schon, dass das Rotkehlchen Erithacus rubecula heißt? Die Regeln des wissenschaftlichen Benennens sind viel einfacher, als man vermuten könnte. Der Fantasie sind hier keine Grenzen gesetzt, und selbst nach David Bowie und Harry Potters Dementoren sind bereits Tierarten wissenschaftlich benannt worden.

Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Museums für Naturkunde Berlin sind als sogenannte „Taxonomen“ damit beschäftigt, noch unbekannte Tierarten zu finden und sie nach den Regeln der Zunft zu benennen. Zusammen mit dem rbb Inforadio ruft das Museum für Naturkunde Berlin die Zuhörer zur Mithilfe bei der Benennung von vier besonderen Tierarten auf, die von den Museumstaxonomen entdeckt wurden.

Alle weiteren Informationen zu Sendezeiten, Spielregeln und den Tieren finden Sie in einem Dossier auf Inforadio.

Die Spielregeln

Was wird gesucht?

Wissenschaftliche Artnamen bestehen immer aus zwei Teilen, dem vorderen Gattungsnamen, der groß geschrieben wird, und dem hinteren eigentlichen Artnamen, der mit einem Kleinbuchstaben beginnt. Homo sapiens ist ein gutes Beispiel. Gesucht wird also der zweite Teil des Namens, der eigentliche Artname.

Wie sollten Namensvorschläge aussehen?

Die Bildung wissenschaftlicher Artnamen wird von einem verbindlichen Regelwerk bestimmt, den internationalen Nomenklaturregeln. Auch wenn diese Regeln im Einzelfall ganz schön kompliziert sein können, sind die grundsätzlichen Bedingungen eigentlich ganz einfach:

  • Ein Artname muss aus mindestens zwei Buchstaben des lateinischen Alphabets bestehen.
  • Er muss ein Wort sein oder als Wort verstanden werden können. Um die Einhaltung der Regeln müssen Sie sich aber nicht kümmern. Dafür gibt es unsere Spezialisten, die ihre Vorschläge in eine wissenschaftlich passende Form bringen, sofern das nötig ist.

Seien Sie kreativ und überlegen Sie sich, welcher Name Sie ganz persönlich anspricht. Besonders wichtig ist es, dass Sie uns mitteilen, warum Sie diesen Namen oder Namensvorschlag gewählt haben. Was ist die Geschichte dahinter?

Wie wird unter den Vorschlägen ausgewählt?

Eine Kommission, die aus den vier beteiligten Wissenschaftlern des Museums für Naturkunde Berlin, Thomas Prinzler vom rbb Inforadio und einem aus allen Einsendungen zufällig ausgewählten Radiohörer besteht, wird die Vorschläge sichten und nach Kreativität, Einmaligkeit innerhalb der jeweiligen Tiergruppe und grundsätzlicher Eignung als wissenschaftlicher Name die besten Kandidaten auswählen.

Was passiert danach?

Erst die offizielle „Taufe“ einer Art durch eine wissenschaftliche Veröffentlichung macht einen Namen gültig. In einer solchen wissenschaftlichen Publikation wird der neue Name zusammen mit einer ausführlichen Beschreibung der neu benannten Art veröffentlicht. Wir werden versuchen, eine gemeinsame Veröffentlichung auf die Beine zu stellen, in der die Benennung der Arten mithilfe der Radiohörer im Mittelpunkt stehen wird. Leider ist der Prozess des wissenschaftlichen Veröffentlichens recht langwierig, und es werden sicherlich einige Monate bis zur Publikation vergehen.

Die zur Auswahl stehenden Kandidaten

Helfen Sie mit und stimmen Sie ab! Wie sollen unsere neuen Arten heißen?

Schabenwespe aus Singapur

Schabenwespen sind ganz besondere Wespen. Sie gehören zur artenreichen Gruppe der Grabwespen und ernähren ihre Larven mit Insekten, die sie mit dem Stich ihres Stachels lähmen. Schabenwespen nehmen als Futter für ihren Nachwuchs nur Schaben. Mit zwei gut platzierten Stichen in das Nervensystem der Schabe lähmt die Wespe ihre Beute so, dass ein spezieller Effekt eintritt: Das Fluchtverhalten der Schabe wird unterdrückt, während ihre Beweglichkeit erhalten bleibt. So kann das Wespenweibchen mit ihren Kiefern die Schabe an einer ihrer Antennen festhalten und in einen Unterschlupf lenken. Die Schabe folgt der Wespe dabei willenlos wie ein Hund an der Leine. In ihrem Unterschlupf legt die Wespe dann ein Ei auf die Beute, und die schlüpfende Wespenlarve frisst die gelähmte, aber noch lebendige Schabe langsam auf. Kein Horrorfilm könnte gruseliger sein.

Schabenwespen gehören in die Gattung Ampulex, von der bereits mehr als 130 Arten aus der ganzen Welt beschrieben wurden. Unsere neu entdeckte Art gehört in eine Gruppe von Schabenwespen, die dank ihrer rotschwarzen Färbung und ihrer schlanken Gestalt Ameisen imitieren. Die neu entdeckte Ampulex-Art ist bereits vor langer Zeit in Singapur gesammelt worden. Im Rahmen eines Forschungsprojekts zur Diversität der Schabenwespen haben wir die Art in unserer Sammlung entdeckt – insgesamt 29 Exemplare.

PD. Dr. Michael Ohl ist Entomologe und Spezialist für Wespen, Bienen und Ameisen.

Garnele von der indonesischen Insel Sulawesi

In einem entlegenen Hochtal im zentralen Bergland der Insel Sulawesi wurden bereits 2005 von Wissenschaftlern des Museums für Naturkunde Berlin Süßwassergarnelen der Gattung Caridina aus Flüssen und Bächen gesammelt. Die Gattung Caridina ist die artenreichste Gattung von Süßwassergarnelen überhaupt mit etwa 350 beschriebenen Arten. Die Tiere aus dem dortigen Napu-Tal wurden erst kürzlich gründlich bearbeitet. Dabei hat sich gezeigt, dass es sich um zwei neue nur dort vorkommende Arten handelt. Eine der beiden neuen Arten sticht dabei besonders heraus. Nahezu alle Arten von Caridina ernähren sich, indem sie mit ihren ersten beiden Beinpaaren, die zu Ernährungsorganen umgewandelt wurden, Algen und Detritus vom Untergrund abbürsten. Dazu haben diese beiden Beinpaare jeweils relativ kurze Borstenbüschel am vorderen Ende. Die noch unbeschriebene Art aus dem Napu-Tal hat nun sehr lange Borsten und bürstet nicht den Untergrund ab, sondern wedelt mit ihren ausgebreiteten sogenannten Fächerscheren durch das Wasser und sammelt so ihre Nahrung ein. Ihre durch genetische Analysen ermittelte nächstverwandte Art ist die zweite Art aus dem Napu-Tal, die 'normale' Borstenbüschel besitzt. Damit sind beide Arten wohl aus einem gemeinsamen Vorfahren in dem entlegenen Tal entstanden.

Dr. Thomas von Rintelen ist Kustos der Weichtiersammlung und Experte für Süßwasserschnecken sowie Biodiversitätsentdeckung im Allgemeinen.

Wespen-Fanghaft aus Vietnam

Die Fanghafte (Mantispidae) sind eine weltweit verbreitete Familie der Netzflügler, zu denen auch die bei uns häufigen und nützlichen Florfliegen gehören. Wegen ihrer auffälligen, zu Fangbeinen umgewandelten Vorderbeine ähneln Fanghafte Gottesanbeterinnen. Im Gegensatz zu diesen sind sie aktive Jäger, die aber wie die restlichen Netzflügler recht schwerfällige Flieger sind. Die Larven der Fanghaften leben als Parasitoide an Insektenlarven und Spinneneiern. Dies bedeutet, dass der Wirt nach der Parasitierung getötet wird. Tiere dieser Gattung sind ausgesprochen selten. Von den bis jetzt 31 beschriebenen Arten sind viele nur von wenigen Individuen oder gar nur einem Exemplar bekannt. Die meisten Arten der Gattung Euclimacia wurden auf der Grundlage von Unterschieden in der Färbung und Flügeläderung beschrieben. Die hier vorliegende schwarz, orangene Art ist ein auffällig schönes Tier und ca. 3 cm lang. Noch 5 weitere Tiere dieser Art sind in der Sammlung des Museums für Naturkunde Berlin.

Der Entomologe und Senior Collection Manager Lukas Kirschey arbeitet an Netzflüglern mit den Wespen-Fanghaften als einen Schwerpunkt.

Scopaeus "species nova" aus Neu Guinea

Bei den Kurzflügelkäfern der Gattung Scopaeus  sind derzeit ca. 60.000 Arten beschriebenen. Die meist räuberisch lebenden Tiere messen im Durchschnitt etwa 3 mm. Die Körperform der Kurzflügelkäfer ist sehr vielgestaltig, doch zeichnen sich die meisten Arten durch einen auffallend schlanken, beweglichen Körper mit stark verkürzten Deckflügeln aus. In der Gattung Scopaeus, zu der die hier vorgestellte, unbeschriebene Art aus Neu Guinea gehört, wurden bislang über 450 Arten beschrieben. Scopaeus-Arten sind Bewohner feuchter, sandiger oder kiesiger, spärlich bewachsener Rohböden, wie sie sowohl in trocken-warmen Klimaten als auch in den waldreichen Tropen zumeist entlang unregulierter Fließgewässer zu finden sind. Daher gelten Scopaeus-Arten als bedeutende Indikator-Organismen für natürliche Uferstrukturen unregulierter Fließgewässer. Für die Beschreibung und Identifikation der sehr ähnlichen Scopaeus-Arten ist die Untersuchung der artspezifischen Geschlechtsorgane unerlässlich.

Die ausgewählte, zu benennende Scopaeus-Art wurde von dem japanischen Staphyliniden-Forscher Yasuaki Watanabe am 8. Februar 2011 im Arfak-Gebirge auf der Vogelkopf-Halbinsel in West Papua, dem indonesischen Teils Neu Guineas, entdeckt. Das winzige Tier wurde Dr. Johannes Frisch als Spezialist der Gattung zur wissenschaftlichen Beschreibung übergeben.

Dr. Johannes Frisch ist Kurator der Käfersammlung im Museum für Naturkunde Berlin und hat sich auf die Taxonomie und Biogeographie der Kurzflügelkäfer der Gattung Scopaeus  spezialisiert.