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Auf der Suche nach den Hintergründen der evolutionären Anpassung und Veränderung des Schädels von frühen Landwirbeltieren

Schädel eines frühen Landwirbeltiers, des dissorophoiden Temnospondylus Micromelerpeton (MB.Am.374, in der Sammlung des Museums für Naturkunde Berlin). Ein einzelner Intertemporalknochen (blau hervorgehoben), der bei der Evolution der dissorophoiden Temnospondylen verloren ging, taucht auf der linken Seite des Schädels dieses Exemplars wieder auf.

Der Schädel (Cranium) der Wirbeltiere bildet ein hochkomplexes System, in welchem Struktur und Funktion eng miteinander verbunden sind: es beherbergt und schützt das Gehirn und wichtige Sinnesorgane, dient als Ansatzpunkt für Muskeln und ist an ökologische Anforderungen wie Ernährung und Atmung angepasst. Die unterschiedlichen Lebensumgebungen der Landwirbeltiere haben im Laufe der Zeit zu einer großen Vielfalt im Aufbau und der Gestalt von Schädel geführt. Diese Unterschiede zu beschreiben und zu analysieren, um daraus grundlegende Prozesse der evolutionären Anpassung und Veränderung des Schädels von Landwirbeltieren abzuleiten, haben sich Wissenschaftler:innen des Museums für Naturkunde Berlin zum Ziel gesetzt.

Frühe Landwirbeltiere (Temnospondylen, Anthracosaurier, Seymouriamorphe, Chroniosuchier und Lepospondylen) aus dem Erdaltertum (Paläozoikum) und Erdmittelalter (Mesozoikum) und die heute noch lebenden Amphibien (Frösche, Salamander, Blindwühlen) besitzen ein breites Spektrum an verschiedenen Schädelmorphologien, welche häufig mit dem Verlust von dermalen Knochenelementen (Deckknochen) einhergehen. Bei Amphibien erreicht dieser Trend seinen Höhepunkt, es verbleiben nur etwa 19 von den ursprünglichen 43 Deckknochen im Schädel. Die Bandbreite an unterschiedlichen Lebensräumen (z.B. aquatisch oder terrestrisch) sowie die große Variabilität in Körpergröße (10 cm Körperlänge bis hin zu Tieren von etwa 5 m Körperlänge) und Körperform (salamanderähnliche Körperform, gliederlose Körperform, krokodilartige Körperform) machen die frühen Landwirbeltiere zu einem hervorragenden Studienobjekt, um evolutionäre Anpassungen und Veränderungen im Schädel zu untersuchen und zu verstehen.

Im Rahmen des vorliegenden Projekts soll geklärt werden, ob eine vereinfachte Schädelmorphologie und der Verlust von Deckknochen mit (1) einer speziellen Lebensweise zusammenhängen, ob (2) eine Verringerung der absoluten Körpergröße zu einer vereinfachten Schädelmorphologie führt, ob (3) eine Verzögerung oder Verkürzung der Individualentwicklung zu einer vereinfachten Schädelmorphologie führt oder ob (4) der Verlust der Deckknochen mit der Größe der Kiefermuskulatur zusammenhängt.

Das Projekt soll klären, wie und speziell warum diese Schädelknochen wiederholt reduziert wurden und ob sich dieses Muster innerhalb der verschiedenen Gruppen früher Landwirbeltiere parallel entwickelt hat. Eine morphologische Untersuchung (Geometrische Morphologie) von Sammlungsmaterial aus nationalen und internationalen Naturkundemuseen wird dabei durch hochauflösende Aufnahmen von Knochenmaterial und Daten zur Entwicklungsgeschichte (ontogenetischer Daten) ergänzt.