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Die Registratur der Natur

Die Dokumentation naturkundlichen Handels und Sammelns in Preußen, 1770–1850

Im Jahr seiner Gründung 1810 füllte das Zoologische Museum, das sich aus Beständen der Akademie der Wissenschaften, der Königlichen Kunstkammer und Gaben mehrerer privater Spender*innen zusammensetzte, knapp vier Räume im Ostflügel der neuen Berliner Universität. Noch fünf Jahre später beklagte der damalige Museumsdirektor Martin Hinrich Lichtenstein das mangelnde Wachstum einer Institution, die den preußischen Staat, den preußischen Hof und die preußische Wissenschaft repräsentieren sollte. Doch wenige Jahre später hatte Lichtenstein diese Situation dramatisch verändert; er hatte ein Netzwerk von Universitätsstudierenden und Freiwilligen rekrutiert, die Sammelreisen in die britische Kapkolonie, nach Brasilien, Nordafrika, Russisch-Amerika, Sibirien und in den Südpazifik unternahmen. Bereits um 1820 waren Hunderte von Exemplaren in die Sammlung des Museums eingegangen; 1825 war diese Zahl bereits auf Tausende gesprungen und in den späten 1820er und 1830er Jahren wuchs das Museum jährlich um Zehntausende neue Exemplare. Durch diese Materialflut erweiterte das Zoologische Museum nicht nur die eigene Sammlung; es wurde darüber hinaus zu einem Knotenpunkt, von dem die gesammelten Objekte aus Übersee in die vernetzte preußische Museen- und Sammlungslandschaft sowie in die Hände privater Konsument*innen übergingen.

Dieses Forschungsprojekt analysiert jenen Wandel des Zoologischen Museums Berlin und anderer mit ihm verbundener naturhistorischer Sammlungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Dabei wird den Dokumentationsformen dieser Sammlungen—Listen, Kataloge, Inventare und Register—besonderes Augenmerk geschenkt. Sie entstanden in der Zeit des rasanten Wachstums, machten diesen möglich und beschleunigten ihn. Die Studie zeichnet nach, wie sich die Dokumente auf den wissenschaftlichen und monetären Wert der erfassten Sammlungsobjekte auswirkten und wie sie die wissenschaftliche Autorität und Glaubwürdigkeit ihrer Verfasser*innen prägten. Anhand von Formen dokumentarischer Schreibarbeit erforscht das Projekt schließlich grundlegende Veränderungsprozesse innerhalb der preußischen Gelehrtengemeinschaft, Staatsverwaltung und Zivilgesellschaft am Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert. Diese Dokumente, so zeigt das Projekt, spielten eine entscheidende Rolle bei der Entstehung neuer professioneller Identitäten innerhalb der naturhistorischen Forschung und beim Aufbau einer Infrastruktur staatlich geförderter und öffentlichkeitsorientierter Wissenschaft.

Förderung

Das Forschungsprojekt wird unterstützt durch das DFG-Projekt “Die Aneignung des Weltwissens. Adelbert von Chamissos Weltreise (Materialerschließung, Transkription, Analyse)“ am Zentrum für Naturkunde, Universität Hamburg (2015–2017) und durch das DFG-Graduiertenkolleg 2190 “Literatur- und Wissensgeschichte kleiner Formen” an der Humboldt-Universität zu Berlin (2017–2020).