Fiona Möhrle
Die Aquarellzeichnung eines Weißbinden-Lippfisches (Notolabrus tetricus) ist Teil der über 400 Zeichnungen umfassenden Bildsammlung des Zeichners und Naturforschers Wilhelm von Blandowski (1822–1878) im Archiv des Museum für Naturkunde Berlin (MfN). Bei der Betrachtung des Bildes ziehen zunächst die kräftigen Blau-, Grau- und Gelbtöne, die Blandowski für die Gestaltung des Fisches verwendete, in den Bann. Erst auf den zweiten Blick fällt ein Detail ins Auge: Echte Fischschuppen, die neben dem gezeichneten Tier auf den Karton aufgebracht sind. Auf der oben abgebildeten Fotografie kommen diese kaum zur Geltung. In der Originalzeichnung heben sich die Schuppen jedoch deutlich von dem durch den verwendeten Klebstoff (Glutinleim) leicht gewellten Papier ab. Sowohl von den Schuppen als auch von dem Gebiss des Tieres fertigte Bandowski zudem Detailzeichnungen an.
Dass organisches oder mineralisches Material seinen Weg in ein Archiv findet, ist gerade im naturhistorischen Kontext keine Seltenheit: Die Bestände des Museumsarchivs beinhalten nicht nur Verwaltungsakten, sondern auch die Nachlässe von Naturforschenden. Deren wissenschaftliche Arbeit mit Naturdingen hinterlässt Spuren an Bildern und Papier.
Wilhelm von Blandowski war ein gelernter Bergbauingenieur und Naturforscher, der von 1849 bis 1859 in Australien wirkte. Auf seiner bekanntesten Expedition, der Murray River Expedition, folgte er von Dezember 1856 bis April 1857 dem Murray River bis zu dessen Mündung in den Darling River. Auf dieser Expedition, aber auch auf seinen anderen Stationen in Australien (Sydney, Cape York, Adelaide, Melbourne), erforschte Blandowski die lokale Flora und Fauna. Die große Vielzahl seiner Zeichnungen von Fischen und Vögeln, die das Archiv des MfN besitzt, verdeutlicht sein vornehmliches Interesse für die Ichthyologie (Fischkunde) und Ornithologie (Vogelkunde). Die Zeichnungen förderten seine Untersuchungen und dokumentierten seine Erkenntnisse.
Zweck dieser Praxis des wissenschaftlichen Zeichnens war auch die Vermittlung von Wissen über Regionen der Erde, die außerhalb Europas lagen. Dafür wurden verschiedene Methoden genutzt, um Forschung zu illustrieren und zu verbreiten, wie etwa das Aufkleben von Fischschuppen oder Federn. Die Schuppen als Körperteile eines einst lebendigen Organismus verweisen dabei auch auf die Gewalt, die am Entstehungsprozess der Zeichnung beteiligt war. Die von Blandowski und so vielen weiteren Akteur*innen im Feld gezeichneten und beschriebenen Tiere wurden gejagt, getötet und anschließend seziert und präpariert. Für die Abbildung wird das Lebewesen zum Objekt, das zeichnerisch und organisch zerteilt und dokumentiert werden kann.
Was für Wilhelm von Blandowski Praxis zur Anreicherung seiner Feldnotizen war, stellt das Archiv heute vor konservatorische Herausforderungen. Zeichnungen als solche sind eindeutig Archivgut, bei den Schuppen fällt die Einschätzung hingegen schwerer. So berücksichtigt beispielsweise das Berliner Archivgesetz organisches Material nicht explizit. Ein naturwissenschaftlich geprägtes Archiv wie das des MfN sieht sich also mit der Aufgabe konfrontiert, im Rahmen gängiger Richtlinien und Vorgaben, mit der materiellen Vielfalt naturwissenschaftlicher Begleitdokumentation adäquat umzugehen, für ihren Erhalt zu sorgen und sie kritisch zu kontextualisieren. Der materielle Status der Fischzeichnung verbleibt in einer Uneindeutigkeit zwischen Zeichnung und Präparat. Im Archiv des Museums hat sie bislang gemeinsam mit sechs weiteren ihren Platz im Schriftgut gefunden. Als Zeuge der naturwissenschaftlichen Praxis kann sie tatsächlich als ein Dokument – ein Beweisstück – gesehen werden: sie ist ein Beleg für wissenschaftliche Praxis, ein Zeugnis ihrer Zeit und eine Spur des Lebens.
Ein besonderer Dank gilt Edda Aßel, Collection Manager der Ichtyologischen Sammlung des Museum für Naturkunde, für den gemeinsamen Blick auf die Zeichnung und ein erhellendes Gespräch, sowie an Kerstin Pannhorst, Zentralarchiv der Staatlichen Museen zu Berlin, für den hilfreichen Austausch über Konservierungs- und Abbildungstechniken.
Steckbrief
- Titel: Aquarellzeichnung eines Weißbinden-Lippfisches (Notolabrus tetricus)
- Signatur: MfN, HBSB, B001-03 074, NURI: coll.mfn-berlin.de_u_312a9c
- Provenienz: Aus Nachlass Blandowski an das Königliche Zoologische Museum Berlin, gelangte darüber in die Historischen Bild- und Schriftgutsammlungen Berlin (HBSB)
- Material: Aquarellzeichnung und Fischschuppen auf Zeichenkarton, geklebt auf braunen Pappträger
- Urheber:in: Wilhelm von Blandowski (1822–1878)
- Zeit der Entstehung: 17.11.1858
- Ort der Entstehung: Melbourne, Australien
- Verschlagwortung: Fische; Lippfische; Australien; Aquarell; Wilhelm von Blandowski; Schuppen
Literatur
Harry Allen: "Introduction: Looking again at William Blandowski", in: Proceedings of the Royal Society of Victoria, Bd. 121, Heft 1 (2009): S. 1. DOI: 10.1071/RS09001.
"Archivgesetz – Landesarchiv Berlin". o.D.
Daniela Bleichmar, und Peter C. Mancall (Hg.): Collecting Across Cultures: Material Exchanges in the Early Modern Atlantic World. The Early Modern Americas. Philadelphia, Pennsylvania: University of Pennsylvania Press 2013.
Thomas A. Darragh: "William Blandowski: A frustrated life", in: Proceedings of the Royal Society of Victoria, Bd. 121, Heft 1 (2009): S. 11. DOI: 10.1071/RS09011.
Peter Davis: "Collecting and Preserving Fishes: a Historical Perspective", in: Naturalists in the Field: Collecting, Recording and Preserving the Natural World from the Fifteenth to the Twenty-first Century, hrg. v. Arthur MacGregor, Leiden 2009: S. 49–165. DOI:10.1163/9789004323841_007.
Paul Humphries: "Blandowski Misses out. Ichthyological Etiquette in 19th-Centuy Australia", in: Endeavour, Bd. 27, Heft 4 (2004): S. 160–165, DOI: 10.1016/j.endeavour.2003.08.006.
Paul Humphries: "Wilhelm Blandowski’s contribution to ichthyology of the Murray-Darling Basin, Australia", in: Proceedings of the Royal Society of Victoria, Bd. 121, Heft 1 (2009): S. 90. DOI: 10.1071/RS09090.
Fiona Möhrle: Findbuch B001-03 Bildsammlung Wilhelm von Blandowski [Dataset], Data Publisher: Museum für Naturkunde Berlin (MfN) – Leibniz Institute for Evolution and Biodiversity Science. DOI: 10.7479/j9zf-np19.
Thomas Thiemeyer: Das Depot als Versprechen: Warum unsere Museen die Lagerräume ihrer Dinge wiederentdecken, Köln, Weimar, Wien: 2018.
Bildunterschriften
- Abb.1: Aquarell eines Weißbinden-Lippfisches (Notolabrus tetricus), Fischschuppen auf Zeichenkarton, Wilhelm von Blandowski (17.11.1858), 15,2 x 24,3 cm, geklebt auf braunen Pappträger (17,8 x 28 cm), MfN, HBSB, B001-03 074, © Carola Radke, MfN.
- Abb. 2: Bilddetail: Fischschuppe geklebt auf Zeichenkarton, Aquarell eines Weißbinden-Lippfisches (Notolabrus tetricus), Wilhelm von Blandowski (17.11.1858), MfN, HBSB, B001-03 074, © Carola Radke, MfN.