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Der Urzeitvermittler

Steffen Bock hält einen kleinen 3D-gedruckten Plastikschädel eines Ursauriers in der Hand.

Dieser Artikel erschien zuerst in unserem Journal für Natur (Ausgabe 11/2025).

Steffen Bock holt die Urzeit in die Gegenwart. Mit Ursaurier-Schädeln aus dem 3D-Drucker, Schreibkursen und Virtual-Reality-Grabungen begeistern er und sein Team ein breites Publikum für die fossilen Sensationen der Bromacker-Fundstätte in Thüringen.

Der kleine Plastikschädel stammt von einem Ursaurier, der vor Jahrmillionen auf dem Gebiet des heutigen Thüringer Walds gelebt hat. Steffen Bock hält ihn in der Hand, öffnet sein Maul. Es ist eine wissenschaftlich exakte Replik eines echten Schädels aus dem 3D-Drucker. Paläontolog:innen haben das Original in der Fossilienlagerstätte Bromacker im Thüringer Wald gefunden. Orobates pabsti war ein rund 80 Zentimeter großes, echsenähnliches Landwirbeltier. Ein Pflanzenfresser.  

Am Bromacker rekonstruieren Forschende ein Ökosystem, das vor 290 Millionen Jahren im Erdzeitalter des Perms existierte, zu einer Zeit lange vor den Dinosauriern, als in Thüringen viel kleinere vierfüßige Landwirbeltiere wie Orobates pabsti durch ein weites Flusstal streiften. „Die Lebewesen des Permzeitalters stehen oft im Schatten der großen, gefräßigen Dinosaurier aus dem Erdmittelalter (Trias, Jura und Kreide), die unsere Vorstellung dominieren – doch diese Giganten entstanden nicht aus dem Nichts“, sagt Steffen Bock, ehemaliger Mitarbeiter vom Museum für Naturkunde Berlin. „Was wir am Bromacker finden, legte den Grundstein für das Leben an Land – für Dinosaurier ebenso wie für die Vorfahren der heutigen Säugetiere.“  

Bock leitete die Wissenschaftskommunikation für das Grabungsprojekt am Bromacker. Ziel seines Teams ist es, die Menschen für die Welt vor den Dinosauriern zu begeistern und den Ort als das bekannt zu machen, was er ist: Europas ergiebigste Fundstätte für Knochenfossilien und Fährten von Ursauriern des Perms – eine paläontologische Schatzkammer.  

Steffen Bock ist ein Kommunikator. Er weiß, wie man die Menschen mitreißt, vor allem, wenn er selbst für etwas „schwärmt“: für Käfer, Spinnen, Pflanzen oder Fossilien etwa. Letztere faszinieren ihn, weil sie verborgene Fenster in die Entwicklungsgeschichte des Lebens sind. „Eine paläontologische Grabung ist wie eine Schatzsuche, bei der man hofft, hinter jedem Brocken etwas Neues zu finden“, sagt Bock. „Und wenn man es gefunden hat, dann geht das Erforschen los.“  

Steffen Bock sitzt an seinem Arbeitsplatz vor dem Computer im Museum für Naturkunde Berlin.

Eine Leidenschaft für die Natur: Spinnen, Käfer, Felle und Fossilien 

Bevor ihn die versteinerte Natur der Urzeit fesselte, war es die lebendige der Gegenwart. Aufgewachsen ist Steffen Bock in Berlin-Hellersdorf und im grünen Umland der Großstadt. Im Garten des Opas lernte er Tiere und Pflanzen bestimmen, in seinem Bücherregal stapelten sich Bestimmungsbücher. Es war unausweichlich – es musste ein Biologiestudium folgen, genauer: ein Studium der Ökologie, Biodiversität und Evolution an der Freien Universität Berlin. Sein erster Fokus: Käfer. Dann: Spinnen. Schließlich: wie Tiere und Pflanzen interagieren. Seinen linken Unterarm zieren bis heute kunstvolle Tattoos seiner Lieblingskäfer und seine Wohnung gleicht einem Dschungel. 

Vor zwölf Jahren kam er erstmals ans Museum für Naturkunde Berlin, arbeitete neben seinem Studium ehrenamtlich in der Spinnen- und Käfersammlung, später dann im Management der Säugetiersammlung. Für seine Masterarbeit und sein anschließendes Forschungsprojekt befasste er sich mit dem Erhalt der Fellsammlung. Er untersuchte, wie die vom Zerfall bedrohten Objekte sich für die Zukunft sichern ließen. Schon damals begann er öffentlich über das wenig erforschte Nischenthema zu sprechen. „Ich dachte mir: Wir müssen viel mehr kommunizieren – warum macht das nicht jeder in der Forschung?“ 

Als 2020 die Grabung am Bromacker nach zehnjähriger Pause wieder aufgenommen wurde, bot sich die Gelegenheit, tatsächlich im großen Stil über Forschung zu kommunizieren – und neue Formate für den Austausch mit der Gesellschaft auszutesten. Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Projekt war von Anfang an auch als Projekt für die Öffentlichkeit gedacht. Steffen Bock entwickelte gemeinsam mit den drei Projektpartnern Friedenstein Stiftung Gotha, Friedrich-Schiller-Universität Jena und UNESCO Global Geopark Thüringen Inselsberg – Drei Gleichen eine umfassende Kommunikationsstrategie. Der Claim „Der Bromacker ist für alle da“ gilt bis heute. 

Steffen Bock hält eine 360-Grad-Virtual-Reality-Brille aus Pappe, hinter deren Linsen er ein Mobiltelefon eingespannt hat.

Eine offene Grabung – im Netz und vor Ort 

„Wir haben 2020 mitten in der Corona-Pandemie angefangen und die Leute zunächst mit Live-Streams auf Social Media mit zur Ausgrabung genommen“, sagt Bock. Das Bromacker-Team, das aus etwa 40 Projektbeteiligten besteht, legte den gesamten Forschungsprozess offen – von der Grabung über das Präparieren der Fossilien bis hin zur Analyse der Fundstücke mit CT-Scans und anderen innovativen Verfahren. „Mir war es wichtig, dass die Forschenden selbst die Kommunikation übernehmen und lernen, auf die Leute zuzugehen“, sagt Bock. „Wir haben ihnen dafür verschiedene Formate an die Hand gegeben, da sich nicht jeder gleich berufen fühlt, direkt vor der Fernseh-Kamera zu stehen.“ 

Bromacker entwickelte sich zu einer transparenten Ausgrabung. Während der Grabungswochen im Sommer ist sie für jedermann zugänglich, von einer Besucherplattform kann man das internationale Team bei der Arbeit beobachten. Ein Shuttle-Bus bringt Besuchende an Wochenenden vom ca. 21 km entfernten Gotha zum Bromacker, an Exkursionstagen kommen ganze Schulklassen. Ein Visitor Care Manager geht auf Besuchende zu, lädt zu Führungen ein und beantwortet Fragen. Das Amt rotiert unter den Forschenden. „Zuerst waren sie skeptisch, aber am Ende haben die meisten den Dialog als sehr spannend empfunden.“ 

An seinem Schreibtisch im Museum für Naturkunde Berlin zeigt Steffen Bock eine 360-Grad-Virtual-Reality-Brille aus Pappe, hinter deren Linsen er ein Mobiltelefon klemmt. Setzt man sie auf, ist man mittendrin in der Grabung am Bromacker: Paläontolog:innen klopfen mit Hammer und Meißel unermüdlich auf den rötlichen Sandstein. Man kann sich umschauen, als stünde man mitten zwischen ihnen.  

Die Brille ist eine der vielen Ideen, die das Team entwickelt hat, um die Öffentlichkeit zu begeistern. Mit Hilfe der Technologie, die von der Digitalkuratorin Anastasia Voloshina entwickelt wurde, kann jedermann Teil der Grabung werden. Überhaupt ist die Bromacker-Grabung digital. Auf dem Instagram-Kanal bromacker_chroniken stellt das Team die neuesten Entdeckungen der Thüringer Fundstelle in Text und Video vor, auf der Projekt-Website explore.bromacker.de bewegt man sich durch die Grabung und kann Forschende ihre Arbeit erklären lassen.  

Ein Herzensprojekt war für Steffen Bock der Workshop BROMACKER geschichten, bei dem Schüler:innen sich mit einer Schriftstellerin im kreativen Schreiben übten. Es entstanden berührende Geschichten wie „Ein Leben als Stein“, erzählt aus der Perspektive einer Versteinerung: „Die Hufe der Tiere spüre ich schon längst nicht mehr. Alles wird ruhig, doch mich stört das nicht, nein, eigentlich ist es schön.“ 

Wenn Jugendliche sich mit Fossilien beschäftigen, sich in sie hineindenken, oder wenn Erwachsene zu verstehen beginnen, was „die“ Forschenden wirklich machen – dann ist Steffen Bock zufrieden. Die lokale Bevölkerung, die zunächst etwas skeptisch war, schätzt mittlerweile die Offenheit des Projekts und empfand sie als wertschätzend, wie eine Umfrage ergab.  

„Manche kamen anfänglich mit einer Vorstellung von Jurassic Park zu uns“, sagt er. „Wir haben ihnen dann aber erklärt, dass wir nicht nach spektakulären T. rex.-Fossilien suchen, die es hier auch nicht gibt, sondern relevanten Forschungsfragen nachgehen.“ Wie das Ökosystem am Bromacker vor 290 Millionen Jahren funktioniert haben mag, zum Beispiel, wie groß die Artenvielfalt war und in was für einer Umwelt die Ursaurier damals lebten. Oder wie sich das Klima, Geologie und Lebenswelt über die letzten Jahrmillionen verändert haben. Das alles stecke in den Sedimenten und Fossilien: Belege für den Klimawandel, für die Evolution, die Plattentektonik. Man muss es nur erkennen können – und darüber sprechen. 

Text: Mirco Lomoth mit Ergänzungen des MfN vom 11.9.2025
Fotos: Pablo Castagnola