Dieser Artikel erschien zuerst in unserem Journal für Natur (Ausgabe 10/2024).
Kosmischer Staub, der auf die Erde sinkt, kann viel über die Geschichte unseres Sonnensystems erzählen. Die Astrophysikerin Jenny Feige sammelt außerirdische Partikel in der chilenischen Atacama-Wüste, um Millionen Jahre in die Vergangenheit zu schauen.
Nachts übernimmt die Vergangenheit die Wüste. Dann spannt sich ein Sternenhimmel von überwältigender Tiefe und Perfektion über dem Sandmeer auf, ein Koordinatensystem aus flackerndem Licht, das über Millionen von Jahren zu uns gereist ist. "Wenn ich dort auf dem Boden liege, habe ich das Gefühl, dass ich mich festhalten muss, um nicht abzuheben", sagt Jenny Feige. Stundenlang kann sie in den Südhimmel schauen, in dem das Sternbild Orion kopfsteht und die fluffigen Magellanschen Wolken neben der Milchstraße leuchten. Die Astrophysikerin vom Museum für Naturkunde Berlin ist eine Chronistin des Weltalls. Sie sammelt den Staub von explodierten Sternen und zerborstenen Asteroiden, der auf die Erde fällt, um aus ihm kosmische Ereignisse wie Supernovae und Asteroid-Kollisionen zu rekonstruieren, die unser Sonnensystem und die Entwicklung unserer Erde beeinflusst haben könnten.
In der trockenen Atacama-Wüste im Norden Chiles hat Jenny Feige ein ergiebiges Archiv gefunden: Hier hat sich das kosmische Material so verlässlich abgelagert wie kaum irgendwo sonst auf der Erde, weil nur etwa ein Millimeter Regen pro Jahr fällt, der es fortspülen könnte. "Die Wüste ist eine Art Gedächtnis der letzten zehn Millionen Jahre unseres Sonnensystems", sagt Feige, die jedes Jahr mehrere Wochen in der Atacama verbringt. Tagsüber sammelt sie mit ihrem Team Proben ein, nachts schläft sie unter den Sternen. Der außerirdische Staub, dem Feige nachspürt, rieselt ständig auf die Erde herab. Er besteht aus zwei Klassen.
Der interplanetare Staub hat seinen Ursprung in unserem Sonnensystem und entsteht, wenn zwei Asteroiden kollidieren, ein Asteroid auf einem Planeten einschlägt oder ein Komet in Sonnennähe schmilzt. Die Überbleibsel solcher Ereignisse bewegen sich in einer riesigen Spirale zur Sonne und passieren dabei auch den Riesenstaubfänger Erde. Rund 100 Tonnen interplanetare Partikel sinken täglich auf Meere und Kontinente herab. Die kleinsten darunter sind nur ein Zehntelmillimeter groß, die größeren – Mikrometeorite genannt – können bis zu zwei Millimeter messen. Die zweite Staubklasse, der interstellare Staub, entsteht vor allem bei Sternexplosionen und ist wesentlich feiner – nur Nanometer bis einige Mikrometer groß (ein Millionstel- bis ein Tausendstelmillimeter). Seine Atome bilden in der Erdatmosphäre neue Moleküle, binden sich an Aerosole und sinken allmählich herab. "In ihnen stecken die Isotop-Signaturen explodierender Sterne", "Wenn sich zum Beispiel das Isotop Eisen-60 in einer Sedimentschicht der Atacama nachweisen lässt, ist wahrscheinlich, dass zum Zeitpunkt ihrer Bildung kosmischer Staub einer Supernova auf die Erde herabrieselte", sagt Feige. Denn Eisen kommt auf der Erde selbst nur mit 28 bis 32 Neutronen im Atomkern vor; für Eisen-60, mit 34 Neutronen, braucht es die Explosion eines massenreichen Sterns.
Atacama-Staub als Übergepäck
Zwei Monate lang sammelte Jenny Feige mit ihrem Team und chilenischen Geolog:innen im Frühjahr 2024 Sedimente in der Atacama. Sie gruben mit Schaufeln, baggerten Löcher, brachen mit dem Presslufthammer das Gestein auf und nahmen Proben aus Aufschlüssen und verlassenen Minen. Bis in eine Tiefe von 43 Metern konnten sie vordringen. Insgesamt kamen so 120 Kilogramm Atacama-Staub zusammen, die sie säuberlich etikettiert als Übergepäck mit nach Berlin nahmen.
Feige hat mit ihrem Team einen ERC Starting Grant der Europäischen Union bekommen, um die Atacama-Proben zu analysieren und neue Erkenntnisse aus ihnen zu gewinnen. Bereits seit 2004 ist bekannt, dass sich vor zwei bis drei Millionen Jahren eine Supernova in der so genannten lokalen Superblase ereignet haben muss – einem von Sternexplosionen geschaffenen Raum, den unser Sonnensystem gerade durchquert. Eine weitere Supernova lässt sich vor gut sieben Millionen Jahren in einer anderen Superblase nachweisen. "Wir wollen herausfinden, ob sich weitere Explosionen und Asteroiden-Kollisionen ereignet haben", sagt Feige. Die Sedimente der Atacama könnten darüber detailreiche Antworten liefern. "In Kooperationen mit der Klimaforschung wollen wir zudem der Frage nachgehen, wie kosmische Ereignisse sich auf die Erde auswirken", sagt Feige. "Zum Beispiel indem sie die Ozonschicht angreifen, Wolkenbildung anregen oder das Sonnenlicht abschwächen und das Klima verändern."
Sternenforschung in der Tiefsee
Die Faszination der Sterne packte Jenny Feige schon als Jugendliche. Sie verschlang jedes Buch über das Weltall, das sie zu fassen bekam. In Woltersdorf bei Berlin, wo sie aufwuchs, schaute sie bei jeder guten Gelegenheit in den Sternenhimmel und beschloss mit 18 Jahren, ein Teleskop zu kaufen. Bald nachdem sie damit zum ersten Mal Saturn und die Jupitermonde beobachtet hatte, schrieb sie sich an der Universität Wien für Astronomie ein. Erst zogen sie Exoplaneten in den Bann, die in anderen Sonnensystemen um ihren Stern kreisen. Dann die feine Spur des außerirdischen Eisen-60 auf der Erde. Für ihre Magisterarbeit berechnete sie, welche Sternenhaufen unserem Sonnensystem gerade nahekamen, als die Supernova vor zwei bis drei Millionen Jahren explodierte. "Das war sehr theoretisch, noch ganz ohne Proben und Messungen."
Das Eisen-60 faszinierte sie so sehr, dass sie kurzerhand einen Isotopenforscher der Universität Wien ansprach, der die Supernova 2004 mitentdeckt hatte: Anton Wallner. "Er startete gerade ein Projekt für Tiefseeastronomie, und ich konnte nach einem Kernphysik-Praktikum direkt meine Doktorarbeit bei ihm anfangen", erzählt die heute 43-Jährige. Sie untersuchten dutzende Proben mit Sedimenten aus allen Weltmeeren auf Eisen-60 – und wurden fündig. Nicht nur fanden sie weltweit Spuren der Supernova, die vor zwei bis drei Millionen Jahren explodiert ist, sie konnten in den Meeresböden auch die zweite Supernova vor sechs bis acht Millionen Jahren nachweisen. Die Ergebnisse wurden 2016 im renommierten Fachjournal Nature veröffentlicht. Von Wien wechselte Feige bald darauf nach Berlin, erst an die Technische Universität zur Theoretischen Astrophysik, wo sie zunächst auch Mikrometeorite untersuchte, und 2023 dann ans Museum für Naturkunde Berlin, um sich stärker der experimentellen Astronomie zu widmen.
Eisen-60 im Beschleuniger-Massenspektrometer
In Feiges Labor im Museum für Naturkunde Berlin lagern dutzende Probenbeutel mit Atacama-Sedimenten, die auf die Auswertung warten. In Bechergläsern lösen ihre Mitarbeiter:innen zunächst die Salze und Gips aus den Proben, dann geben sie sie in eine Rüttelmaschine, um sie mit Sieben nach ihrer Korngröße zu sortieren. Mit dem Mikroskop suchen sie nach Mikrometeoriten, die schwarz oder silbergrau schimmernd zwischen den irdischen Silikaten liegen. "Wir analysieren ihre chemische Zusammensetzung, um sagen zu können, von welcher Art von Asteroid sie stammen", sagt Feige. Anhand radioaktiver Elemente können sie zudem bestimmen, wie lange das Staubkorn im All unterwegs war und wann und wo im Sonnensystem es entstanden sein könnte.
Das seltene Eisen-60 nachzuweisen ist schwieriger, da es nur in äußerst geringen Mengen auf der Erde existiert. Die Supernova vor zwei bis drei Millionen Jahren hat höchstens 20 Kilogramm Eisen-60 über die gesamte Erde verteilt. Diese hauchdünne Spur kann nur mit einem einzigen Beschleuniger-Massenspektrometer im australischen Canberra gemessen werden. Jenny Feige schaut neugierig auf ihren Monitor. Bald kommen wieder die neuesten Ergebnisse aus Canberra reingeflattert – Messungen winziger Isotope, aus denen sie nach und nach eine Chronik der explosiven Geschichte unseres Sonnensystems schreiben wird.