Viren lösen Krankheiten aus. Aber wie genau passiert das? Hinter welchen Krankheiten bei Mensch und Tier stecken Viren? Und welche Rolle spielen sie in der Evolution? Nachdem wir im ersten Teil nach dem Ursprung von Viren fragten – Forschende am Museum für Naturkunde Berlin wiesen bereits Viren an einem 289 Millionen Jahre alten Fossil nach –, dreht sich im Folgenden alles um Viren als Krankheitserreger.
Warum machen Viren krank?
Viren sind tückisch. Bevor sie ihr Unheil anrichten und Zellen infizieren können, müssen sie erst einmal in den Wirt hineingelangen. Das geschieht zum Beispiel über die Schleimhäute beim Grippevirus, über Bisse beim Tollwutvirus oder über Stiche ins Blut bei Hirnhautentzündungen (FSME). Jede Zelle besitzt auf der Oberfläche typische Strukturen, die zur chemischen Kommunikation unter den Zellen dienen. Das Virus benötigt also passgenau diese Struktur um sich anzulagern – wie ein Schlüssel ins Schloss passt. Er wird dann von der Zelle eingelassen und nicht mehr als Feind erkannt.
Jeder Virustyp kann daher nur eine spezifische Zelle infizieren. Einmal drin, verliert das Virus die Hülle und die Erbsubstanz fängt an, Kopien herzustellen. Dies geschieht mit Hilfe des Stoffwechsels der Wirtszelle. Dabei wird der Eiweißsyntheseapparat der lebenden Zellen oder Organismen umfunktioniert und in den Dienst der eigenen Vermehrung gestellt. Die Wirtszelle stirbt ab, die neu gebildeten Viren gelangen nach draußen und können weitere lebende Zellen befallen. Der Körper hat aber Möglichkeiten, sich gegen das Virus zu wehren, indem er seine Temperatur erhöht und die eigenen Abwehrkräfte stärkt. Er setzt Eiweißstoffe frei, die die Viren bei der Vermehrung hemmen oder wehrt die Viren durch bestimmte Zellen des Immunsystems ab. Ein bestimmtes Virus erzeugt meist eine ganz spezifische Krankheit. Vermutlich gibt es aber auch Viren, die keine Krankheiten verursachen. Diese sind aber schwer nachzuweisen.
Welche Krankheiten lösen Viren bei Mensch und Tier aus?
Die Liste der von Viren verursachten Infektionen ist lang. Die durch Viren hervorgerufenen Krankheiten sind auf andere Lebewesen, also nicht nur Menschen, sondern auch Tiere und Pflanzen übertragbar. Dazu gehören beim Menschen zum Beispiel Kinderkrankheiten wie Windpocken, Masern und Kinderlähmung, aber auch Aids, Herpes, SARS und Ebola. Stechmücken übertragen Dengue- und Gelbfieberviren. Bei Infektionen der oberen Atemwege des Menschen sind zu 95 Prozent Viren beteiligt, überwiegend Rhino- und Influenzaviren, aber auch Coronaviren. Viren können auch bösartige Tumore bei Menschen und Tieren hervorrufen, zum Beispiel Leukämien bei Menschen und Geflügel.
In Europa sind etwa 100 wichtige virusbedinge Krankheiten bei Nutztieren bekannt. Besondere Bedeutung erlangten die Maul- und Klauenseuche bei Rindern, die Schweine- und Geflügelpest und die Tollwut, die alle Warmblüter – zum Beispiel auch Fledermäuse – befallen kann. Der bei Haustieren bekannte Katzenschnupfen wird durch Herpesviren hervorgerufen. Auch Elefanten und Hühner erkranken an Pocken. Polyederviren befallen Schmetterlingslarven.
Insekten-Virus-Epidemien, insbesondere bei Zweiflüglern, Käfern und Schmetterlingen treten in der Natur oft bei Massenvermehrungen auf. Sie sind einerseits erwünscht, wenn dadurch die Massenvermehrung durch Schadinsekten unterbunden wird. Andererseits sind sie gefürchtet, wenn sie Nutzinsekten wie die Honigbiene befallen. Die Bienenparalyse zum Beispiel äußert sind in Gliederzittern, Lähmung und aufgeblähtem Hinterleib. Ein weiteres Virus verursacht bei Honigbienen die Sackbrut, woran besonders junge Maden erkranken. Der Erreger nistet sich in Muskeln und Nervenzellen ein, die Maden verfärben sich. Am Hintern entsteht ein mit Flüssigkeit gefüllter Sack. Die Made lässt sich aus der Wabe ziehen und zerfällt.
Welche Viruserkrankungen gibt es bei Pflanzen?
Allein in Europa gibt es circa 1.000 bekannte virusbedingte Erkrankungen an Pflanzen. Gärtnerinnen und Gärtner verzweifeln an den ring- oder fleckenartigen Schwärzungen an Blättern der Rosen, die durch das Rosenstrichelvirus hervorgerufen werden. Kaum eine Nutzpflanze bleibt verschont, seien es Gurken, Tomaten, Erbsen oder Bohnen. Wirtschaftlich bedeutend sind Ertragseinbußen durch kleinere Früchte, weniger Inhaltsstoffe und Wertminderung durch das äußere Erscheinungsbild bis zu Totalausfällen der Ernte. Dazu kommen die Kosten für vorbeugende Maßnahmen wie die Züchtung resistenter Sorten und Bodenentseuchung.
Besonders bekannt sind virusbedinget Ertragseinbußen an Tomaten (Mosaikkrankheit), Kartoffeln (Blattrollviren) und Zuckerrüben (Vergilbungsviren). Das Scharkavirus hat Millionen von Pflaumen-, Pfirsich- und Aprikosenbäumen befallen. Aus tropischen Ländern sind virusbedingte Missernten bei Reis bekannt. Millionen Zitrusbäume wurden vom Citrus-Tristeza-Virus befallen. Durch Befall mit dem Sproßschwellungsvirus mussten schon Millionen Kakaobäume gerodet werden. In Bananen- und Zuckerrohrpflanzungen entstehen riesige Verluste durch Banana-bunchy-top-Viren und Zuckerrohrmosaikviren. Kokospalmen fallen den Cadang-Cadang-Virus zum Opfer.
Evolutionsbiologie aus der Sicht des Virus
Was in Zeiten des Kalten Krieges passierte – nämlich ein gegenseitiges Wettrüsten – das praktizieren Viren schon seit Millionen von Jahren. Denn es kann nicht Anliegen des Virus sein, den Wirt umzubringen – das wäre das Ende. Daher gibt es im Laufe der evolutiven Wechselbeziehungen gegenseitige Anpassungen, Weiterentwicklungen und wieder Anpassungen. Manchmal steht eine große Anzahl und Auswahl von Wirten zur Verfügung, wie es zum Beispiel bei der Tollwut der Fall ist, die viele Warmblüter befallen kann. Oder der Wirt wird widerstandsfähiger. Oder das Virus ist nicht so aggressiv, wie zum Beispiel das Schnupfenvirus.
Manche Viren machen es sich auch im Wirt auf lange Zeit gemütlich – wie das Herpesvirus. Dringt das Virus in die Keimzellen, kommt es zu einer Übertragung auf den neuen Organismus und das Virus ist damit Bestandteil des Erbgutes und „unsterblich“ – vorausgesetzt das Virus ist nicht so aggressiv, dass die Art ausstirbt. Forschende konnten nachweisen, dass Viren die Evolution enorm beschleunigt haben. Manche sehen Viren als Motor der Evolution, in dem von Beginn an vor hunderten Millionen von Jahren Viren zum Austausch von Erbsubstanz beigetragen haben.
Warum sind im menschlichen Erbgut Viren nachweisbar?
Knapp die Hälfte des menschlichen Erbgutes besteht aus verstümmelten Virengenen, die man heute noch nachweisen kann. Einige sind hundert Millionen Jahre alt, also viel älter als Homo sapiens. Es müssen also Keimzellen in Urzeiten immer wieder mit Viren infiziert und dann von Generation zu Generation weitervererbt worden sein. Der französische Virologe Thierry Heidmann rekonstruierte 2006 aus 50 Millionen Jahre alten Virusresten im menschlichen Erbgut ein intaktes Virusgenom und erzeugte damit vermehrungsfähige Viren.
Forschung am Museum für Naturkunde Berlin
Am Museum für Naturkunde Berlin wird für Natur geforscht. Ein Forschungsfeld ist die Entomologie. Die Teilsammlung Insekten ist die größte Sammlung am Museum mit 15 Millionen Tieren, davon sechs Millionen Käfer, vier Millionen Schmetterlinge und zweieinhalb Millionen Bienen und Wespen.
- Für die Forschung an Insekten reisen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um die ganze Welt. Doch Dank der neuesten Digitalisierungsmöglichkeiten reichen in Zukunft ein paar Klicks am Computer aus, um jedes kleinste Haar einer Biene zu erkennen. Möglich macht dies der weltweit erste 3D-Scanner für Insekten aus Museumssammlungen. Hier erfahren Sie mehr zur Digitalisierung unserer Insektensammlung.
- Insekten, insbesondere Mücken, sind Überträger gefährlicher Viren, wie zum Beispiel dem Gelbfiebervirus. Aber auch Fliegen sind Krankheitsüberträger. Durch den Klimawandel wandern viele Tiere und damit Krankheiten nach Europa ein. Das Denguefieber hat Griechenland und Kroatien erreicht und das Chikungunya-Virus wurde nachweislich von Mücken in Frankreich und Italien übertragen. Forschungssammlungen helfen dabei, neue Fragestellungen zu beantworten. Das Museum für Naturkunde hat eine große Dipterensammmlung und forscht daran, zum Beispiel an Fleischfliegen.
- Jakob Trimpert, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Virologie der Freien Universität Berlin und Guide am Museum für Naturkunde Berlin, beschäftigt sich mit der Evolution des medizinisch wahrscheinlich wichtigsten Virus der Hühner, der Marekschen Krankheit.