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Amniota Lab

Chameleon on trunk, blue sky and trees in background

Forschung

Unsere Forschung konzentriert sich auf fossile und an Land lebende Wirbeltiere, wie Eidechsen und Schlangen (Müller) sowie pflanzenfressende Säugetiere (Bibi). Unser besonderes Interesse gilt den Ursachen der evolutionären Diversifizierung und den Ursachen, die zur Entwicklung unterschiedlicher Arten führen. Dabei verwenden wir vor allem anatomische, paläontologische, molekulare und ökologische Methoden. Ein Großteil unserer Feldarbeit findet in Afrika und im Mittelmeerraum statt, sei es bei der Suche nach Fossilien oder bei Studien zur Ökologie und Verbreitung lebender Arten. 3D-Visualisierung und Computertomographie (CT) sind für unsere morphologische Forschung von zentraler Bedeutung, und wir nutzen diese Techniken sowohl für qualitative als auch quantitative Studien.

Forschungsschwerpunkte

  • Evolution der Echten Eidechsen (Lacertidae)
    Die altweltlichen Echten oder Halsbandeidechsen (Lacertidae) sind eine der vielfältigsten Reptiliengruppen in Europa, Afrika und Asien und lassen sich in eine paläarktische Radiation mit Verbreitungsgebieten in Europa, Nordafrika und Asien und eine weitgehend tropische afrikanische Gruppe unterteilen. Wir untersuchen unter anderem, wie sich Umweltfaktoren auf die Evolution von an Wüstenklima angepassten Arten auswirken und wie Temperatur und Verhaltensphysiologie die Makroevolution von an kühleres Klima angepassten Arten beeinflussen. Außerdem erforschen wir anhand von Fossilien aus der jüngeren Erdgeschichte, wie sich Umweltveränderungen auf die Evolution der heute lebenden Lacertiden ausgewirkt haben, und wie sich in Berlin lebende Eidechsen an städtische Umgebungen anpassen.
  • Evolution von Schlangen und schlangenähnlichen Körperformen
    Anhand von Amphisbaenen (Doppelschleichen) und ihren Verwandten, den bereits oben erwähnten Lacertidae, untersuchen wir, wie sich ursprünglich vierfüßige Reptilien zu gliedmaßenlosen, langgestreckten Organismen entwickelt haben. Außerdem untersuchen wir die Evolution echter Schlangen, mit besonderem Augenmerk auf die fossile Diversifizierung und die Evolution der Giftigkeit. In unseren Studien setzen wir ein bestimmtes Verfahren der Computertomographie (diffundierbare Jodkontrast-Computertomographie - DICE CT) ein, um Weichteile wie Muskeln und Giftdrüsen dreidimensional zu rekonstruieren. Wir arbeiten eng mit anderen Laboren weltweit zusammen, um die Visualisierungsmethode DICE CT zu verbessern.
  • Wirbeltierfaunen des Sudan während des Pleistozäns
    Seit 2018 erforscht unser Team fossile Ablagerungen im Oberlauf des Atbara-Tals im Sudan. Der Atbara ist ein Nebenfluss des Nils, der auch als Schwarzer Nil bekannt ist und seinen Ursprung im äthiopischen Hochland hat. Nahe der sudanesischen Stadt Khashm-el-Girba konnte das Vorhandensein von Fossilien und Steinwerkzeugen aus der Zeit des Mittel- bis Spätpleistozäns vor wenigen Hunderttausenden von Jahren nachgewiesen werden. Unsere Untersuchungen haben das Spektrum der pleistozänen Fundstellen in der Region auf über 100 km flussaufwärts des Atbara und des Flusses Setit erweitert. Diese Funde dokumentieren den Übergang von den Technologien der Acheuléen zur Mittelsteinzeit und die Entwicklung moderner afrikanischer Ökosysteme während der Zeit der Entstehung unserer Spezies, des Homo sapiens. Das Projekt wurde ursprünglich von DFG und National Geographic gefördert und ist mittlerweile ein internationales ERC Projekt unter Leitung von Faysal Bibi.
  • Wirbeltierfaunen in Arabien während des Spätmiozäns
     In der Region Al Gharbia (im Westen) der Vereinigten Arabischen Emirate lassen sich Gesteine aus dem späten Miozän finden, die etwa 7 Millionen Jahre alt sind. Arbeiten in den 1980er und 90er Jahren unter der Leitung von Andrew Hill (Yale University) und dem verstorbenen Peter Whybrow (Natural History Museum, London) führten zur Entdeckung und Beschreibung einer breiten Palette von Fossilien aus dieser Region. Seit 2002 hat ein Team unter der Leitung von Faysal Bibi, Brian Kraatz (Western Univ.), Andrew Hill (Yale) und Mark Beech (Abu Dhabi Department of Tourism and Culture) die bisherigen Funde mehr als verdoppelt und die Zahl der Fundstellen erheblich erweitert. Unsere Funde umfassen Skelettreste von verschiedenen Säugetieren, Fischen, Vögeln und Reptilien, die sich alle in unterschiedlichen Stadien der Analyse befinden und neue Informationen über das damals vorherrschende Klima, die Ökologie und die Umweltbeziehungen zwischen der Tier- und Pflanzenwelt der heutigen arabischen Wüstenregion liefern. Erkenntnisse der Arbeit wurden kürzlich in der Monographie „Sands of Time: Ancient Life in the Late Miocene of Abu Dhabi“, United Arab Emirates (Springer, 2022), hier veröffentlicht.
  • Evolution und Ökosysteme der erdgeschichtlichen Vergangenheit (Paläoökologie) der afrikanischen Antilopen
    Antilopen (Bovidae) sind die artenreichste Familie landlebender Großsäugetiere. Daher finden sich viele Fossilienfunde von Antilopen Eurasiens und Afrikas aus der Zeit des Neogens, von vor etwa 23 Mio. Jahren bis vor ca. 2.6 Mio. Jahren. Die Anpassung verschiedener Antilopengruppen an unterschiedliche Lebensräume macht sie von großem Nutzen für die Rekonstruktion vergangener Umweltbedingungen und ökologischer Beziehungen. Besonders spannend sind die Untersuchungen in Afrika, wo zahlreiche fossile Antilopen (Boviden) an Fundorten von fossilien Homininen, also Vorfahren des heutigen Menschen, gefunden werden können. Wir nutzen die fossilen Bovidenfunde, um Veränderungen in den lokalen Lebensräumen und der ökologischen Gemeinschaftsstruktur an fossilen Fundorten vom späten Miozän (vor 7.3 – 5.3 Mio. Jahren) bis zum späten Pleistozän (vor 2.6 – 0.012 Mio. Jahren) in Afrika zu rekonstruieren.
  • Naturschutz-Paläobiologie in Afrika
    Gemeinsam mit Kollegen aus Großbritannien, den USA und Kenia nutzen wir die Fossilien aus dem späten Känozoikum in Afrika (ca. die letzten 20 Millionen Jahre), um den langfristigen Einfluss von Umweltveränderungen auf die spezifischen Eigenschaften der dort lebenden Wirbeltiere zu untersuchen. Ziel der Forschungsarbeiten ist es, die Daten zur Vorhersage künftiger Veränderungen zu nutzen und Entscheidungen im Bereich der Naturschutzbiologie zu unterstützen. In diesem Zusammenhang führen wir auch detaillierte Arbeiten an Fossiliensammlungen in Ostafrika durch, um eine Datenbank über känozoische afrikanische Reptilien zu erstellen. Darüber hinaus sind wir bemüht, afrikanische Wissenschaftler:innen und Student:innen in diese Arbeit zu integrieren, mit dem langfristigen Ziel, ein ostafrikanisches Museumsforschungs- und Ausbildungsnetzwerk aufzubauen.
  • Phylogenetik und Diversifizierung von Wiederkäuern – Erforschung der Abstammung und Veränderungsfähigkeit
    Umweltveränderungen werden als einer der Hauptantriebe für Evolution von Säugetieren angesehen, und Faktoren wie Temperatur, Sauerstoffversorgung oder Niederschlag haben einen großen Einfluss auf die Tiergemeinschaften. So können diese Faktoren bestimmend für die   geografische Verbreitung, die Zusammensetzung von Lebensgemeinschaften und sogar die Artbildung und Aussterberate sein. Wir untersuchen am Beispiel von Wiederkäuern, wie z. B. Hirsche, Antilopen oder Giraffen, die Zusammenhänge zwischen Umweltveränderungen, ökologischen Merkmalen und der Evolution dieser Tierarten. Zur Aufschlüsselung der Diversitätsdynamik (z. B Artbildung, Aussterberate) werden Untersuchungsergebnisse ausgestorbener und heute lebender verwandter Arten zusammengeführt, um die Evolution dieser Lebensgemeinschaften zu rekonstruieren. Die Zeitpunkte der wichtigsten evolutionären und ökologischen Ereignisse in der Erdgeschichte können dann mit den ständig wachsenden Aufzeichnungen über Umweltveränderungen verglichen werden, um Hypothesen über die Beziehungen zwischen Umwelt und Säugetierevolution kritisch zu prüfen.
  • Evolution der wechselwarmen Wirbeltiere im Quartär
    Mit Schwerpunkt auf Europa und Australien untersuchen wir Reptilien- und Amphibiengemeinschaften über das Quartär hinweg, d.h. über den Zeitraum der letzten 2.6 Mio. Jahre.  Ziel unserer Forschungsarbeiten ist die Frage, inwieweit Gemeinschaftsstruktur und Erscheinungsbild mit Umweltschwankungen und möglicherweise auch mit anthropogenen Faktoren zusammenhängen. Dafür verwenden wir u.a. 3D-bildgebende Verfahren und quantitative Methoden wie die geometrische Morphometrie (s.u). Ergänzend hierzu führen wir ökologische Studien an heute lebenden Arten durch. Derzeit erforschen wir vor allem Höhlenablagerungen auf den Balearen und die spätquartäre Fundstelle Pisede in Mecklenburg-Vorpommern.
  • 3D-Geometrische Morphometrie zur detailgenauen Beschreibung von Körpermerkmalen
    Quantitative Vergleiche der Schädelform von lebenden und fossilen Arten mit Hilfe von 3D-Scans ermöglichen detaillierte Einblicke in morphologische Unterschiede sowohl innerhalb als auch zwischen den Arten. Darüber hinaus erlauben die Messungen, Untersuchungen der Beziehung zwischen Körpergröße und Körperform (Größen-Form-Allometrie) und der Änderungen des Erscheinungsbilds über evolutionäre Zeiträume hinweg. Das Museum für Naturkunde verfügt über ein hochmodernes Visualisierungslabor mit Mikro-CT- und Oberflächenscannern (ARTEC), und unsere Gruppe hat mehrere laufende Projekte zu Eidechsen, Schlangen, Antilopen und Flusspferden.
  • Museums-DNA und integrative Taxonomie
    Viele Arten, die heute vom Aussterben bedroht oder ausgestorben sind, werden in zoologischen Sammlungen aufbewahrt. Viele dieser Exemplare enthalten genomische Informationen (DNA), die extrahiert und sequenziert werden können, um die Evolutionsgeschichte dieser Arten und Populationen bis zurück ins Pleistozän (s.o.) zu beleuchten. In mehreren laufenden Projekten wird die DNA von Museumsexemplaren verwendet, um die Bereiche der genomischen Vielfalt sowie die Abstammung und geographische Herkunft (phylogeographische Struktur) in ausgestorbenen oder ausgerotteten Populationen zu untersuchen. Darüber hinaus werden Analysen durchgeführt, um die Übereinstimmung zwischen molekularen und morphologischen Verwandtschaften („Integrative Taxonomie“) zu analysieren.
Grouppicture of the Labmembers in a restaurant