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Molekulargenetische Labore

Das Biosprint-Verfahren basiert auf der Magnetpartikel-Technologie und wird zur automatisierten Isolation genomischer DNA verwendet. Foto: Museum für Naturkunde Berlin

Untersuchungen der Erbsubstanz DNA und der Produkte, die nach den genetischen Bauplänen entstehen, sind Grundlage populationsgenetischer, biogeografischer, evolutionsbiologischer und systematischer Forschung. In den molekulargenetischen Laboren wird DNA für wissenschaftliche Analysen gewonnen, gereinigt und vervielfältigt. Auch der Informationsträger RNA kann isoliert und komplementäre DNA (cDNA) synthetisiert sowie DNA und RNA für Genom- und Transkriptomanalysen vorbereitet werden.

Um das Material für Untersuchungen herzustellen werden DNA-Abschnitte in einem Polymerase-Kettenreaktion genannten Verfahren (Englisch: polymerase chain reaction, PCR) vervielfältigt. In den Laboren sind die drei Bereiche Prä-PCR, PCR und Post-PCR räumlich getrennt, was wesentlich dazu beiträgt, Kontaminationen des Untersuchungsmaterials mit unerwünschter Fremd-DNA zu verhindern. In einem speziell gegen Kontaminationen geschützten Raum, dem sogenannten Ancient-DNA-Labor, kann DNA aus sehr altem Material isoliert und aufbereitet werden.

Neben der Sequenzanalyse mittels Sanger-Sequenzierung gehören auch Untersuchungen von Mikrosatelliten zum Standardrepertoire. Zwischen den Molekulargenetischen Laboren und dem Integrierten Zoologischen Forschungslabor besteht eine enge inhaltliche Verflechtung.

Methodik (Auswahl):

  • DNA-Isolation (manuell und automatisiert)
  • RNA-Extraktion/mRNA-Anreicherung
  • cDNA-Synthese
  • PCR
  • Library Preparation für NGS-Sequenzierung
  • Fragment-Analyse (Mikrosatelliten)
  • Spektrophotometrie und Fluoreszensmessungen

Ausstattung (Auswahl):

Qiagen Biosprint 96
Basiert auf der Magnetpartikel-Technologie und wird zur automatisierten Isolation genomischer DNA verwendet

Agilent Bioanalyzer
Ermöglicht eine Chip-basierte hochauflösende Fragmentanalyse von DNA, RNA und Proteinen. Wird zur Qualitätskontrolle von Next-Generation-Sequencing-Libraries sowie von RNA- und DNA-Extraktionen verwendet

NanoDrop (UV-Vis Spektrophotometer)
Dient zur Konzentrationsbestimmung von Nukleinsäuren mittels UV-Vis Spektralphotometrie im Mikrovolumen-Bereich

Qubit 2.0 (Fluorometer)
Benchtop-Fluorometer zur Quantifizierung von geringen Konzentrationen von DNA/RNA

LI-COR (DNA Analyzer)
Wird zur DNA-Sequenzierung und Mikrosatelliten-Analyse verwendet

ABI 3130xl (Genetic Analyzer)
16-Kapillar-Sequenzer zur Sanger-Sequenzierung sowie Mikrosatelliten- und Fragment-Analyse

Biomek 4000 (Pipettierroboter)
Liquid-Handler zum automatischen Pipettieren

Anwendungen:

Genom- und Transkriptomanalysen
Mittels moderner Methoden ist es heute möglich, nicht nur einzelnen Gene, sondern große Teile des Genoms, der Gesamtheit der Erbanlagen, zu sequenzieren. Beispielsweise konnte durch die Kombination von Expressions- und phylostratigraphischen Analysen das erste Radula-bildende Gewebe-Transkriptom bei der lebendgebärenden Süßwasserschnecke Tylomelania sarasinorum identifiziert werden. Die Radula (Raspelzunge) ist das zentrale Nahrungsaufnahmeorgan und eine Besonderheit der Schalentiere. Die Genexpression von Radula-Formgewebe ist sehr spezifisch, aber dennoch dem Mantel ähnlicher als dem Fuß. Die Ergebnisse zeigten weiterhin, dass die genetischen Grundlagen sowohl der Radula- als auch der Schalenbildung durch neuartige Orchestrierung bereits vorhandener Gene und kontinuierliche Evolution neuer Gene geformt wurden. Ein signifikant erhöhter Anteil an radulaspezifischen Genen entstand seit der Entstehung der Stamm-Mollusken, was darauf hindeutet, dass neuartige Gene für die Radulaentwicklung besonders wichtig waren.

Publikation:
Leon Hilgers, Stefanie Hartmann, Michael Hofreiter, Thomas von Rintelen, Novel Genes, Ancient Genes, and Gene Co-Option Contributed to the Genetic Basis of the Radula, a Molluscan Innovation, Molecular Biology and Evolution, Volume 35, Issue 7, July 2018, Pages 1638–1652 https://doi.org/10.1093/molbev/msy052

Weiterhin konnte bei Fröschen (Pelophylax lessonae und Silurana tropicalis) auf der Grundlage vergleichender Transkriptomanalysen gezeigt werden, dass sogenannte LTR-Retroelemente innerhalb komplexer genetischer Netzwerke offensichtlich wichtige Funktionen erfüllen und entgegen früherer Annahmen keine „Junk-DNA“ oder „schädliche genomische Parasiten“ sind.

Publikation:
Grau, J., Poustka, A., Meixner, M., Plötner, J. (2014): LTR retroelements are intrinsic componentsof transcriptional networks in frogs. BMC Genomics 201415:626
https://doi.org/10.1186/1471-2164-15-626

Studien an Fledermäusen
Molekulargenetische Studien an Fledermäusen (Chiroptera) bilden einen der Schwerpunkte unserer Arbeit. So wurde mittels mitochondrialer und nukleärer DNA die genetische Struktur eines in der westlichen Paläarktis weitverbreiteten Fledermausartenkomplexes (Myotis nattereri sensu lato) analysiert. Die Ergebnisse lassen auch Schlussfolgerungen zur Systematik und zum Schutzstatus bestimmter, genetisch abgrenzbarer Linien zu.

Publikation:
Çoraman, E, Dietz, C, Hempel, E, et al. Reticulate evolutionary history of a Western Palaearctic Bat Complex explained by multiple mtDNA introgressions in secondary contacts. J Biogeogr. 2019; 46: 343– 354.
https://doi.org/10.1111/jbi.13509

In einem weiteren Projekt wurden auf der Grundlage von Mikrosatelliten Mutter-Jungtier-Gruppen in Wochenstuben des großen Abendseglers (Nyctalus noctula) identifiziert und deren Sozialverhalten mittels neuartiger Trackingsensoren analysiert. Die Ergebnisse zeigten, dass Mütter ihre Jungtiere zu neuen Quartieren lotsen und damit den sozialen Zusammenhalt sichern, eine für Fledermäuse nie zuvor beobachtete Form der mütterlichen Fürsorge.

Publikation:
Ripperger, S., Günther, L., Wieser, H., Duda, N., Hierold, M., Cassens, B., Kapitza, R., Koelpin, A. & Mayer, F. 2019 Proximity sensors on common noctule bats reveal evidence that mothers guide juveniles to roosts but not food. Biol. Lett. 15, 20180884. (doi:10.1098/rsbl.2018.0884).
https://doi.org/10.1098/rsbl.2018.0884

Projekt:
BATS - Betriebs-Adaptive Tracking-Sensorsysteme

Hybridisierung und Polyploidisierung bei europäischen Wasserfröschen
Wasserfrösche (Pelophylax esculentus-Komplex) sind ein geeignetes Modell zum Studium von Speziationsprozessen einschließlich Hybridisierung und Polyploidisierung. Auf der Basis molekularer Daten (Mikrosatelliten, mtDNA) konnte gezeigt werden, dass der Teichfrosch (Pelophylax esculentus), eine ursprünglich aus Kreuzungen zwischen dem Kleinen Wasserfrosch (P. lessonae) und dem Seefrosch (P. ridibundus) hervorgegangene Hybridform, mehrfach und unabhängig voneinander entstanden ist. Im Vergleich zu Teichfröschen aus dem mittel- und osteuropäischen Raum, ist die genetische Variabilität der Hybridform in Nordwesteuropa am geringsten. Als Ursache dieses Gradienten wird der Verlust genetischer Variabilität als Folge nacheiszeitlicher Migrationsprozesse diskutiert.

Publikation:
Hoffmann, A., Plötner, J., Pruvost, N. B., Christiansen, D. G., Röthlisberger, S., Choleva, L., Mikulíček, P., Cogălniceanu, D., Sas‐Kovács, I., Shabanov, D., Morozov‐Leonov, S. and Reyer, H. (2015), Genetic diversity and distribution patterns of diploid and polyploid hybrid water frog populations (Pelophylax esculentus complex) across Europe. Mol Ecol, 24: 4371-4391. https://doi.org/10.1111/mec.13325

Analyse alter DNA
Knochendetektive im Museum
Die Analyse alter DNA aus Sammlungsmaterial gehört ebenfalls zu den täglichen Aufgaben der molekulargenetischen Labore.  Neben der Analyse des genetischen Materials bereits ausgestorbener Arten können molekulare Daten auch zur Identifikation und Zuordnung von Sammlungsmaterial beitragen, was an folgendem Beispiel verdeutlicht werden kann: Durch Bombenangriffe im Zweiten Weltkrieg, die im Museum überwiegend Walmaterial zerstörten, geriet auch das Holotypus-Skelett des Seiwals (Balaenoptera borealis) in Vergessenheit. Durch umfangreiche Recherchen und Untersuchungen, u.a. auf der Grundlage von DNA aus Knochenmaterial, konnten aufgefundene Skelettüberreste einschließlich des Schädels eindeutig als Teile des Holotypus identifiziert werden.

Publikation:
Haberland, C., Hampe, O., Autenrieth, M., et al. (2018). Balaenoptera borealis Lesson, 1828: rediscovery of a holotype. Mammalia, 0(0), pp.
https://doi.org/10.1515/mammalia-2017-0149

Vom Wild- zum Hausschwein
In den vergangenen 100 Jahren hat sich die Schweinezucht vor allem darauf konzentriert, Rassen mit hohem Fleischertrag zu erzeugen. Im Rahmen eines Kooperationsprojektes zwischen Forschern der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, dem Leibniz-Institut für Nutztierbiologie in Dummersdorf und dem Museum für Naturkunde wird untersucht, zu welchen genomischen Veränderungen diese vom Menschen gesteuerte Selektion beim Deutschen Edelschwein und Deutschen Landschwein im Vergleich zum Wildschwein, der Stammart des Hausschweins, geführt hat. Zur Klärung dieser Frage werden DNA-Proben aus älteren Knochen dieser Rassen analysiert, die aus den naturwissenschaftlichen Sammlungen des Museums für Haustierkunde „Julius Kühn“ und des Museums für Naturkunde Berlin stammen.

Projekt:
Sus 100 - Das Hausschwein: Gerichtete Selektion und Zeitgeschmack - Morphologie und Genetik über 100 Generationen

Identifizierung und Beschreibung  von Arten
DNA-Analysen finden in zunehmendem Maße auch Eingang in Artbeschreibungen und systematische Revisionen. Erst kürzlich entdeckte ein internationales Forscherteam, an dem auch Wissenschaftler des Museum beteiligt waren, eine Schlangenart im Nordwesten von Liberia und im Südosten Guineas, die  zu Ehren des kürzlich verstorbenen südafrikanischen Reptilienforschers Prof. William Roy Branch auf den Namen Atractaspis branchi getauft wurde. Neben morphologischen Merkmalen flossen auch mitochondriale DNA-Daten in die Artbeschreibung ein.

Publikation:
Rödel M, Kucharzewski C, Mahlow K, Chirio L, Pauwels OSG, Carlino P, Sambolah G, Glos J (2019) A new stiletto snake (Lamprophiidae, Atractaspidinae, Atractaspis) from Liberia and Guinea, West Africa. Zoosystematics and Evolution 95(1): 107-123.
https://doi.org/10.3897/zse.95.31488