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Berlinert die Nachtigall?

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Dieser Artikel erschien zuerst in unserem Journal für Natur (Ausgabe 1/2019).

In den Parks leben tausende Singvögel. Berlinerinnen und Berliner zeichnen ihren Gesang auf – für die Wissenschaft.

Auf die Nachtigall gekommen ist Daniela Friebel eher zufällig: Eine Freundin fragte sie, ob sie den Prototyp einer Sound-App testen wolle. "Nachtigallen mit dem Handy ausfindig machen, das klang amüsant", sagt Daniela Friebel. "Ich hatte allerdings keine Ahnung, wie Nachtigallen singen, und musste mir zuerst im Internet den Gesang anhören." Das war vor drei Jahren. Heute ist die Fotografin und Künstlerin eine von Tausenden Bürgerforschenden, die den Forschungsfall Nachtigall am Museum für Naturkunde unterstützen.

Bürgerforschende schaffen auf vielfältige Weise neues Wissen: Ob Mücken sammeln, den Sternenhimmel beobachten oder Feuersalamander fotografieren – alle können die Arbeit von Forschenden unterstützen.

In der Nachtigall-Saison von Ende April bis Anfang Juli trällern die Nachtigall-Männchen, um ihr Revier zu verteidigen und um Weibchen zu betören und sich fortzupflanzen. Eine Flirt-Arie, die besonders gut des Nachts zu hören ist, wenn der restliche Vogelchor verstummt; Nachtigallen singen aber auch am Tag, um ihr Revier zu verteidigen.

Anders als bei anderen Vogelarten sind regionale Unterschiede im Nachtigall-Gesang unerforscht. Singt die Nachtigall (Luscinia megarhynchos) in Dialekten? Damit die Forschenden am Museum eine Antwort auf diese Frage finden, werden sie deutschlandweit von Hobbyforschenden, auch Bürgerforschende genannt, unterstützt. Einziges Hilfsmittel ist die am Museum für Naturkunde entwickelte, kostenlose App Naturblick, mit der sich der Gesang aufzeichnen lässt. Naturblick wird vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit gefördert.

Hauptstadt der Nachtigallen

"Berlin ist die Hauptstadt der Nachtigallen", verrät Silke Voigt-Heucke, Leiterin des Citizen-Science-Projekts Forschungsfall Nachtigall. Im Rahmen des Projekts sind in den letzten beiden Jahren über 7.000 Nachtigallgesänge aus 14 europäischen Ländern gesammelt worden.

Lautes Schluchzen, Pfeifgeräusche und ein schlagender Trill: Der Nachtigall-Gesang sei in seiner Struktur und Variabilität unverwechselbar, so Voigt-Heucke. Mit einem automatischen Mustererkennungsalgorithmus identifiziert die App den Gesang. Auf Wunsch anonym können Bürgerforschende den Gesang aufzeichnen und anschließend mit automatischer Orts- und Zeitangabe mit der Datenbank des Projekts teilen. Anhand der Ortsangaben untersuchen die Forschenden des Teams dann, ob die Nachtigallen anderswo wirklich anders singen als die Berliner Vögel. Gefördert wird das Projekt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung.

Über 1.500 meist Berliner Bürger:innen haben im Frühjahr 2018 bereits die Liebeslieder der in der Hauptstadt vorkommenden Nachtigallen dokumentiert. Deutschlandweit kamen Daten von über 2.000 Bürgerforschenden. So kamen über 1.500 neue Strophentypen zu dem bisher wissenschaftlich bekannten Gesangsrepertoire hinzu, das die Liebeslieder der Nachtigall-Männchen ausmacht: Im Durchschnitt haben sie ein Repertoire von 190 individuellen Strophentypen.

Die etwa 3.000 Berliner Nachtigallen leben meist in Parkanlagen. Als Bodenbrüter mögen sie dichte Büsche mit liegen gelassenem Laub zum Bauen des Nests. Überpflegte, aufgeräumte Gärten meiden sie. Ein Geheimtipp der Hobbyforscherin Friebel: "Am besten in der Nähe von dichtem, schwer zugänglichem Gebüsch suchen. Ich empfehle, sich nachts auf dem Heimweg mit dem Fahrrad durch die Stadt treiben zu lassen. Am Platz der Luftbrücke stieß ich auf ein Nachtigall-Männchen, das sein Lied anstimmte."

Projekte wie der Forschungsfall Nachtigall locken Laien an und werden in Zukunft immer wichtiger. Denn es gibt eine Reihe von Datenlöchern, die so geschlossen werden können. Neben Nachtigall-Beobachtungen kann es um das Messen der Verschmutzung von Gewässern oder der Luftqualität weltweit gehen. "Das Potenzial von Citizen Science ist riesig, da Bürger:innen unmittelbar vor Ort Daten erheben können", sagt Maike Weißpflug, Sozialwissenschaftlerin am Museum. Sie hat gemeinsam mit einem internationalen Team gerade festgestellt, dass die Daten von Bürger:innen helfen, die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen zu erreichen.

Citizen-Science-Festival 2020

Die Plattform Bürger schaffen Wissen am Museum für Naturkunde Berlin vernetzt die Szene in Deutschland. In Berlin gründete sich gerade die Arbeitsgemeinschaft Citizen Science Berliner Raum. Darüber hinaus hat das Museum die Bürgerforschende aus ganz Europa dabei unterstützt, ein internationales Netzwerk aufzubauen. Nächstes Jahr lädt das Museum anlässlich der deutschen EU-Ratspräsidentschaft zu einer internationalen Citizen-Science-Konferenz ein. Für Bürger:innen wird es ein Citizen-Science-Festival geben.

Erste Ergebnisse aus dem Forschungsfall Nachtigall zeigen, dass es einige Strophentypen gibt, die besonders häufig in Berlin gesungen werden. Dies könnte bedeuten, dass die Nachtigall tatsächlich berlinert. Und Daniela Friebel? Sie ist Nachtigall-Fan und-Expertin zugleich. Immer, wirklich immer hört sie, wenn eine Nachtigall ihr Lied anstimmt.

Text: Carmen Schucker