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Eliana Buenaventura: Herrin der Fliegen

Portrait Eliana Buenaventura

Dieser Artikel erschien zuerst in unserem Journal für Natur (Ausgabe 1/2019).

Sie sucht weltweit nach neuen Arten und hat mit Larven Mordfälle aufgeklärt: Wie Eliana Buenaventura, neue Leiterin der Zweiflügler-Sammlung, die Erforschung der Artenvielfalt voranbringt.

Es klingt fast zärtlich, wie Eliana Buenaventura diesen Namen ausspricht: Lucilia cuprina. Die neue Leiterin der Zweiflügler-Sammlung des Museums für Naturkunde Berlin öffnet eine hölzerne Schublade, in der Dutzende metallisch grün glänzende Fliegen auf feinen Nädelchen stecken. Sie sind vor fast 200 Jahren nach Berlin gekommen, aus China, Madagaskar, Kamerun. Lucilia cuprina ist überall auf der Welt die Erste, die einen Kadaver anfliegt, sie hat einen hervorragenden Geruchssinn", sagt Buenaventura, eine kleine, herzliche Frau mit tiefschwarzen Ringellocken. Sie steht in einem Gang der Zweiflügler-Sammlung zwischen hohen, alten Holzschränken. Rund eineinhalb Millionen präparierte Fliegen und Mücken lagern hier. "In all diesen Tieren ist noch immer genetische Information erhalten", sagt Buenaventura. "Die Sammlung ist eine äußerst wertvolle Ressource, weil weltweit Lebensräume schwinden und wir manche dieser Arten heute gar nicht mehr sammeln könnten."

Eliana Buenaventura ist eine der 20 Wissenschaftler*innen, die am neuen Zentrum für Biodiversitätsentdeckung des Museums für Naturkunde mit modernsten Methoden die weltweite Artenvielfalt erforschen – und dabei auch unbekannte Tiere entdecken wollen. Denn noch immer sind geschätzte 90 Prozent aller Arten auf der Erde unentdeckt. Buenaventuras Spezialgebiet: Sarcophagidae – Fleischfliegen. Die meisten Arten aus dieser Familie sind Aasfresser. "Das macht sie so interessant. Sie sind hervorragende Recycler und legen ihre Eier in tote Körper, sie sind sehr wichtig für jedes Ökosystem", sagt Buenaventura. Sie fängt die Fliegen in der Natur, untersucht ihre DNA im Labor, fahndet nach Ähnlichkeiten und Unterschieden, bestimmt neue Arten und versucht so, Fragen der Evolution und Artenvielfalt zu beantworten.

Um die Welt gereist: Diese Fliege stammt aus Guinea, andere kommen aus China, Madagaskar, Kamerun

Mit Hühnerleber auf Fliegenjagd

Erst im Mai 2019 war sie mit einem Team des Zentrums für Biodiversitätsentdeckung im Cuc-Phuong-Nationalpark in Nordvietnam, um dort die enorme Artenvielfalt zu dokumentieren und die Auswirkungen menschlicher Eingriffe zu verstehen. Im Regenwald hängte sie ihre rohrförmigen Fliegenfallen auf. "Meine Kollegen sagen, dass es kein Spaß ist, mit mir im Feld zu sein, da ich meine Fliegen mit verrotteten Ködern anlocke, mit Hühnerleber zum Beispiel", sagt sie und lacht. Warum sie sich ausgerechnet für aasfressende Fliegen interessiert? "Für viele Menschen sind sie einfach nur langweilig und eklig, aber für mich sind es kosmopolitische Organismen, die auf der ganzen Welt zu finden sind und sehr viele Informationen mit sich herumtragen."

Von der Vietnam-Expedition brachte Buenaventura rund 400 Aasfliegen mit, eingelegt in hochkonzentriertem Ethanol, das die DNA in gutem Zustand erhält. In den molekulargenetischen Laboren des Museums wird sie die DNA aus den Proben gewinnen, sie reinigen und vervielfältigen und anschließend die Abfolge der genetischen Bausteine bestimmen lassen. Dann kann sie die DNA-Sequenz jeder einzelnen Fliege auf dem Bildschirm mit Datenbanken auf der ganzen Welt abgleichen.

Wertvolle Ressource. Rund eineinhalb Millionen präparierte Fliegen und Mücken umfasst die Sammlung.

Mit Larven Mörder überführen

Es war die Musik, nicht die Biologie, die Eliana Buenaventura zuerst in ihren Bann zog. In Bogotá lernte sie die Oboe lieben, spielte zuerst in einem Kinderorchester, später am Konservatorium der Nationalen Universität von Kolumbien. Weil neben der Musik die Natur sie immer mehr faszinierte, begann sie ein Biologie-Studium in Bogotá und landete nach dem Abschluss am Nationalen Institut für Rechtsmedizin und Forensik. "In Kolumbien geht die Hälfte aller Todesfälle auf Gewalt zurück", erzählt Buenaventura. "Ich habe den Todeszeitpunkt von Mordopfern ermittelt, indem ich die Entwicklungsstadien von Fliegenlarven untersucht habe, die den Körper nach dem Tod kolonisieren." Zweieinhalb Jahre blieb sie bei den Mordermittlern, bearbeitete rund 150 Fälle, konnte anhand der Fliegenlarven sogar feststellen, wenn ein Opfer Kokain oder andere Stoffe genommen hatte. "Es war eine harte Zeit, weil man als Biologin nicht gerade dafür ausgebildet ist, sich mit den dunkelsten Seiten der menschlichen Gesellschaft zu befassen." Immer wieder stieß sie bei der Ermittlungsarbeit aber auch an die Grenzen der Methoden. Sie beschloss, Fleischfliegen zu erforschen, um sie für die Forensik noch besser nutzbar zu machen.

Es begann eine Wanderzeit: Doktorarbeit in Dänemark, Postdoc-Stelle an der North Carolina State University in den USA, zwei weitere Jahre am renommierten Smithsonian Institute in Washington D. C. Dann Berlin. Ihr neues Büro liegt im Nordflügel des Naturkundemuseums. "Tiernahrungslehre" steht in alter deutscher Schrift an der Tür zum Flur. Auf ihrem riesigen Schreibtisch liegen Fachbücher zur Artenbestimmung neben einem Roman des kolumbianischen Schriftstellers Gabriel García Márquez. In einer Vitrine lagert historisches Laborgeschirr, draußen vor dem Fenster steht ein alter Apfelbaum, unter dem sie gerne Kaffeepause macht. Nach Berlin gezogen hat sie die einzigartige Zweiflügler-Sammlung des Museums und die Expertise deutscher Forscherinnen und Forscher zu Artenvielfalt und Artensterben – vor allem aber der Wandel, den das Museum für Naturkunde in den nächsten Jahren vollziehen will. „Wenn die gesamte Sammlung erst mal digitalisiert und öffentlich ist, kann ein*e Forscher*in in Argentinien sein*e Fliegenfunde und die DNA darin mit unseren Daten abgleichen", sagt Buenaventura. „Das ist ein riesiger Beitrag für die weltweite Erforschung der Artenvielfalt."

Artenvielfalt erforschen: Eliana Buenaventura bestimmt die DNA der Fliegen.

Geheimnisse in Berliner Parks

Fleischfliegen sammelt Eliana Buenaventura mittlerweile auch in Berlin, etwa im Volkspark Rehberge. "Wir wissen, dass sie sich auf Exkremente von Säugetieren setzen, auf ihrem Fell oder auf Wunden herumkrabbeln oder sich vom Schweiß oder Augenflüssigkeit ernähren", sagt sie. Die toten Zellen tragen die Fliegen dann an sich – oder auch in sich. "Ich kann diese fremde DNA im Labor isolieren und so feststellen, mit welchen Wirtstieren die Fliegen in Kontakt gekommen sind, etwa mit Füchsen, Iltissen oder Mardern." Gemeinsam mit Wissenschaftler*innen der Freien Universität und des Berlin Center for Genomics in Biodiversity Research soll so nach und nach eine Karte der Artenvielfalt für Berliner Parks entstehen und neue Methoden entwickelt werden, um die Wildtierbestände zu überwachen.

"Viele Menschen denken beim Thema Biodiversität gleich an den Amazonas oder an tropische Regenwälder", sagt Buenaventura. Doch auch viele Grünflächen in Berlin seien durch schmale Korridore mit wilderen Ecken verbunden und würden Säugetieren, Vögeln und Reptilien einen wichtigen Lebensraum bieten. Ihre Fliegen sollen helfen, ein Bewusstsein für das geheime Leben in Berliner Parks zu schaffen. "Ich möchte, dass die Berliner*innen erkennen, welchen Reichtum sie direkt vor der Haustür haben und wie wichtig es ist, diesen auch zu schützen."

Text: Mirco Lomoth
Fotos: Pablo Castagnola