Ein Objekt überragt seit acht Jahrzehnten die Berliner Museumslandschaft: das Dinosaurierskelett des Brachiosaurus brancai. Von 1909 bis 1913 wurden unter der Leitung des Museums für Naturkunde Berlin in der Kolonie Deutsch-Ostafrika 225 Tonnen fossile Knochen ausgegraben, zur Küste transportiert und nach Berlin verschifft. Ein neues Buch folgt der wechselvollen Geschichte dieser Objekte durch das 20. Jahrhundert: Gefunden und ausgegraben in der Kolonialzeit, aufgestellt in den Jahren der Weimarer Republik und des „Dritten Reiches“ und wiedererrichtet nach dem Krieg in Ost-Berlin, stehen die Funde bis heute im Zentrum des Museums für Naturkunde Berlin. In der Geschichte der Tendaguru-Expedition und ihrer weltberühmten, vielschichtigen und fragmentarischen Objekte zeigt sich ein Zusammenspiel von Politik, Wissenschaft und Museum, das bis heute die Präsentation, das Wissen und die Debatten um Brachiosaurus brancai prägt.
Das Buch ist Ergebnis eines dreijährigen Verbundprojekts, das durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wurde. Verbundpartner waren das Institut für Kunstwissenschaft und Historische Urbanistik an der Technischen Universität Berlin, das Seminar Afrikawissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin und das Museum für Naturkunde Berlin. Durch die interdisziplinäre Forschung der drei Partner wurde das weltberühmte Dinosaurierskelett des Brachiosaurus brancai – pars pro toto einer umfangreichen naturwissenschaftlichen Sammlung – als eine zentrale Quelle für Kolonial-, Kultur- und Museumsgeschichte in den Fokus gerückt. Dadurch verbindet sich lokale Museumsgeschichte mit globaler Kolonialgeschichte, Wissenschafts- mit Populärgeschichte.
Das Buch folgt insbesondere der politischen Geschichte des Objekts und rückt die Frage nach seiner Herkunft in den Vordergrund. So geraten die Verwicklungen von Naturkunde, Museen und Politik, die konkreten Kontexte des Findens, Ausgrabens und Aneignens, aber auch die Etappen der musealen Bearbeitung und Präsentation, der Translokationen und der Provenienz in den Blick. Gleichzeitig geht es um eine Wissensgeschichte des Objekts und die Frage nach seiner Bedeutung für die Entwicklung der Paläontologie als Wissenschaft im internationalen Kontext. Die Autoren haben Spuren dieser Geschichte nicht nur in überlieferten Archivalien und musealen Inventaren, sondern an teils unerwarteten Orten gefunden – in Kinderbüchern, Randnotizen, auf Landkarten und ausrangierten Objekttafeln, in Romanen und Verpackungsmaterialien. Diesen bislang wenig beachteten Objekten und Akteuren geht das Buch nach. So erweist sich die Geschichte der Tendaguru-Objekte als eine Geschichte vielfältiger Translokationen und als eine vernetzte Geschichte, die weit über das Berliner Museum hinausreicht und Berlin mit Dar es Salaam, London, Stuttgart oder Kapstadt verbindet.
"Dinosaurierfragmente"
Zur Geschichte der Tendaguru-Expedition und ihrer Objekte, 1906 - 2018
Ina Heumann, Holger Stoecker und Mareike Vennen
Wallstein Verlag GmbH 2018, ISBN 978-3-8353-3253-9
Für 26,90 Euro erhältlich im Buchhandel und im Museumsshop