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Was die Verdauung übriglässt

Zwei kleine rotbraune Steine – versteinerte (un)verdaute Reste von Wirbeltieren.

Dieser Artikel erschien zuerst in unserem Journal für Natur (Ausgabe 11/2025).

Was sagt uns dieses Knöchelchen? Arnaud Rebillard erforscht (un)verdaute Reste von Wirbeltieren, gefunden am Bromacker.

Voller Begeisterung hält Arnaud Rebillard ein zirka vier Zentimeter großes rotbraunes Stück Gestein in der Hand. „Das ist der erste, der am Bromacker gefunden wurde!“, berichtet er mit leuchtenden Augen. Erst auf den zweiten Blick sind zwei winzig kleine Knochen zu entdecken, die gerade mal etwa zwei Millimeter lang sind. Das ist kein gewöhnlicher Stein. Es ist ein Koprolith, versteinerter Kot, oder anders gesagt: Vor etwa 290 Millionen Jahren ging ein kleiner, etwa ein Meter großer fleischfressender Ursaurier im Gebiet des heutigen Bromackers auf Nahrungssuche. Er wurde fündig, fraß ein kleineres Wirbeltier und schied die unverdaulichen Knochen anschließend aus. Sie werden nun von Rebillard untersucht 

Dessen Begeisterung steigert sich. Er holt ein zweites Stück aus dem Sammlungsschrank. Hier ist ein wirrer Haufen winzig kleiner Knochen zu sehen. Bei diesem Stück handelt es sich um einen sogenannten Regurgitalith, also um etwas Unverdauliches, das ein Raubtier wieder ausgewürgt hat und das nun als Fossil erhalten ist. Es ist der erste derartige Fund vom Bromacker und wurde 2021 während der Sommergrabung geborgen. 

Das Besondere dieses Fundstücks offenbarte sich aber nicht auf den ersten Blick. Zuerst haben die Forschenden kleine Erhebungen im Gestein wahrgenommen, das Stück vorsorglich mitgenommen und zur Präparation gebracht. Hier zeigte sich dann die Sensation: Es handelte sich um einen Regurgitalith, der aus zahlreichen, aber nicht zusammenhängenden Knochen besteht und auch nicht wie ein Koprolith in einer „würstchenförmigen“ Matrix eingebettet ist. 

Rebillard ist Spezialist auf dem Gebiet der Bromalithe. Das sind Fossilien, die (un)verdaute Überreste darstellen, die anschließend versteinert sind. Seit 2023 arbeitet er an seiner Doktorarbeit, speziell an Koprolithen und Regurgitalithen vom Bromacker. Schon während seiner Masterarbeit hat er solches Material von anderen Fundorten untersucht. Aber die Funde vom Bromacker sind etwas ganz Besonderes, weil es sich hierbei um fossile Überreste von Landwirbeltieren handelt. Häufiger sind Koprolithe und Regurgitalithe aus Gegenden mit ehemaligen Seen oder Flussmündungen. „Mich fasziniert, dass das Material so selten ist – insbesondere Regurgitalithe sind extrem selten. Man kann daran so viele Interaktionen zwischen den Tieren der damaligen Zeit erforschen. Alle haben zur gleichen Zeit am gleichen Ort gelebt. Größere Raubtiere von der Spitze der Nahrungskette haben kleinere Tiere gefressen, vielleicht auch Jungtiere oder Insekten. Wir können mit der Erforschung ein ganzes Ökosystem nachstellen und verstehen.“ 

Arnaud Rebillard an seinem Arbeitsplatz, sitzend vor zwei Computerbildschirmen.

Um die Bromalithe gründlich zu untersuchen, ohne sie zu beschädigen, wird modernste Technik eingesetzt. Sie werden mit einem CT-Scanner am Museum für Naturkunde Berlin dreidimensional gescannt und die Aufnahmen anschließend segmentiert. Bei dieser Methode werden verschiedene Materialien in den Scans identifiziert und getrennt. In diesem Fall werden die Knochen von der umgebenden Matrix im Innern der Bromalithe unterschieden. Die Knochen erscheinen auf den Scans heller, weil sie dichter sind als das umgebende Material. 

Nach der Segmentierung der Daten über alle drei Achsen hinweg erstellt die Software ein 3D-Modell der segmentierten Knochen, die sich im Innern der Bromalithe befinden. Die winzigen Knochen können digital vergrößert und im 3D-Modell von allen Seiten betrachtet werden. Nun kann untersucht werden, was das prähistorische Raubtier gefressen hat. Dazu steht umfangreiches Vergleichsmaterial aus der Sammlung zur Verfügung. 

In der Sammlung des Museums für Naturkunde Berlin gibt es mehrere Schränke mit einigen hundert Koprolithen und Regurgitalithen aus aller Welt. Diese sollen nach und nach ebenfalls untersucht und die Daten öffentlich zugänglich gemacht werden. Tausende von möglichen Interaktionen zwischen Fressenden und Gefressenen könnten hier noch entdeckt werden, hunderte weitere Ökosysteme dadurch in Zukunft detaillierter beschrieben und verglichen werden. Große Sammlungen wie diese sind eine wichtige Infrastruktur für die Forschungsfragen der Zukunft. Sie zu erschließen und für alle zugänglich zu machen, ist ein Hauptziel des Zukunftsplans des Museums für Naturkunde Berlin. 

Dass dabei auch kuriose Dinge zum Vorschein kommen können, hat sich kürzlich erst gezeigt. George Frandsen, Gründer des „Poozeum“ in den USA, und Andreas Abele-Rassuly, Sammlungsleiter für Paläozoologie am Museum für Naturkunde Berlin, suchten in der Sammlung der über 1,2 Millionen Wirbeltierfossilien nach dem Fossil, das als frühestes in diese Sammlung kam. Sie fanden zwei Koprolithe mit kleinen, verblassten Zetteln in alter deutscher Handschrift aus dem 19. Jahrhundert. Ein Team entzifferte den Inhalt und stieß auf eine Sensation: Der Naturforscher Alexander von Humboldt und der schottische Geologe Sir Roderick Murchison teilten die Faszination für Koprolithe! Humboldt erhielt von ihm diese beiden Koprolithe. 

Rebillards Publikation über die einzigartigen Koprolithe und Regurgitalithe vom Bromacker wird bald erscheinen. Es gibt noch viele Kisten voll mit noch nicht untersuchten Funden von den Grabungen der letzten Jahre am Bromacker. Worauf man wohl noch alles stoßen wird, das es dann zu erforschen gilt? 

Text: Gesine Steiner
Fotos: Pablo Castagnola