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Fotografien als Beifang

  • Ansicht eines Glasnegativs der Valdivia-Expedition zum Thema Haifang
  • Coveransicht des Buches Aus den Tiefen des Weltmeeres von Carl Chun
  • Aufgeschlagene Seite des Logbuches der Valdivia-Expedition von Carl Chun

Anastasiia Iarkaeva

Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts ging man davon aus, dass 550 Meter unter dem Meeresspiegel kein Leben mehr existiert. Die Challenger-Expedition (1872–1876) und die Plankton-Expedition (1889) lieferten erste Erkenntnisse über die Vielfalt der Tiefseewelt. Unter der Leitung des Zoologen Carl Chun (1852–1914) brach schließlich im Mai 1898 das Forschungsschiff Valdivia zur Erforschung der Tiefsee vom Indischen Ozean bis zur Antarktis auf.

Nicht nur naturwissenschaftliche Objekte wurden von dem Objektiv des Expeditionsfotografen der Valdivia, Fritz Winter (1878–1917), erfasst. Die Fotografien hatten auch den Expeditionsalltag an Bord zum Thema und dürften unter anderem zur Legitimation der Aufwendungen der Reise vor ihrem Auftraggeber, dem preußischen Staat, gedient haben. Begeistert berichtet Carl Chun in seinem 1900 veröffentlichten Werk Aus den Tiefen des Weltmeeres über die Erlebnisse während der Expedition – darunter auch die Haifischjagd. Einen Einblick in das Geschehen bietet das Glasnegativ "K001 311" in der Historischen Arbeitsstelle des Museum für Naturkunde in Berlin: Das Tier hängt harpuniert an der Seitenwand des Schiffes, über die sich ein Crewmitglied beugt. Im Tagebuch der Expedition ist ein Eintrag vom 17. Februar 1899 zu finden. Dort ist zu lesen, dass nach dem Harpunieren vor allem der Bauchinhalt des Tieres untersucht wurde. Von wissenschaftlichem Interesse waren daneben auch das Gebiss des Haifischs sowie Ruderfußkrebse und Schiffshalter, welche an dem Tier hafteten. 

Um die Wende zum 19. Jahrhundert hatte sich die wissenschaftliche Verwendung von Fotografien aller Art, ob als Negative, Papierabzüge oder Diapositive, etabliert. Bei dem Glasnegativ im Standardformat von 12 x 9 cm handelt es sich um eine Silbergelatine-Trockenplatte. Zu ihr gehört ein zur Hülle gefalteter Zettel mit Notizen in Bleistift und blauem Wachsstift – eine davon ist die Nummer des Negativs, welche in die Schicht der fotografischen Platte eingeritzt ist: "259". Nicht nur der Fotograf, sondern auch die Zeit hat ihre Spuren auf den empfindlichen Bildträgern hinterlassen: Am äußeren Rand unseres Glasnegativs hat sich die Beschichtung der über 120 Jahre alten Gelatineschicht gelöst. Heute wird diese Glasplatte gemeinsam mit den anderen mehr als 1.500 zählenden Negativen der Expedition und dem zugehörigen Zettel in archivsicheren Umschlägen und Schachteln aufbewahrt. Als digitales Objekt 'lebt' das Negativ vom Haifischfang auch in der Mediendatenbank des Archivs sowie in dieser Onlinepublikation weiter. 

Auf den ersten Blick tritt der wissenschaftliche Wert von Fotografien des Expeditionsalltages hinter den auf der Reise gesammelten Forschungsobjekten zurück: Man ist versucht, sie als unbeabsichtigten 'Beifang' abzutun. Doch sind es gerade diese Aufnahmen, welche uns den Forschungsalltag auf der Valdivia näherbringen und Faszination bei den Betrachtenden auslösen. Aus wissenschaftshistorischer Perspektive geben sie uns einen Einblick in die die Fang- und Forschungspraktiken am Ende des 19. Jahrhunderts und helfen uns dabei zu verstehen, wie Fotografien als populäre Medien und als wissenschaftliche Arbeitsinstrumente das Verhältnis zwischen Mensch und Natur prägten.

 

Steckbrief

  • Titel: Glasnegativ "Haifang" 
  • Signatur: K001 311
  • Provenienz: Konvolut Deutsche Tiefsee-Expedition 1889/99, Zoologisches Museum, Museum für Naturkunde Berlin, Historische Arbeitsstelle am Museum für Naturkunde Berlin
  • Material: Silbergelatine-Trockenplatte
  • Urheber: Friedrich Wilhelm ("Fritz") Winter (1878–1917)
  • Datum der Entstehung: 17. Februar 1899
  • Ort der Entstehung: Indischer Ozean
  • Verschlagwortung: Glasnegativ, Haifischfang, Erste Deutsche Tiefsee-Expedition, Valdivia, Friedrich Wilhelm Winter

 

Literatur

  • Costanza Caraffa: "'Wenden!': Fotografien in Archiven im Zeitalter ihrer Digitalisierbarkeit: ein material turn", in: Rundbrief Fotografie, Jg. 18 (2011), H. 3, S. 8–15.
  • Bodo von Dewitz und Reinhard Matz (Hg.): Silber und Salz: zur Frühzeit der Photographie im deutschen Sprachraum 1839–1860, Köln u.a. 1989.
  • Hannelore Landsberg: "'Die Wissenschaft wird streng und nüchtern richten...' (Carl Chun 1900). 100 Jahre Deutsche Tiefsee-Expedition 'Valdivia'", in: Verhandlungen zur Geschichte und Theorie der Biologie, hg. v. Deutsche Gesellschaft für Geschichte und Theorie der Biologie, Bd. 5, Berlin 2000, S. 75–90.
  • Betrand Lavédrine (u.a.): Photographs of the Past: Process and Preservation, Los Angeles 2009.
  • Rudi Palla: Valdivia: Die Geschichte der ersten deutschen Tiefsee-Expedition, Berlin 2016.
  • Marjen Schmidt: Fotografien – erkennen, bewahren, ausstellen, Berlin/München 2018.
  • Beatrice Staib: Zwischen Zweckgebundenheit und medialer Eigenständigkeit – Expeditionsfotografie um 1900, unpubl. Masterarbeit, Humboldt-Universität zu Berlin, 2014. 

 

Quellen

  • Carl Chun: Wissenschaftliche Ergebnisse der Deutschen Tiefsee-Expedition auf dem Dampfer "Valdivia" 1898–1899, Jena 1902, DOI 10.5962/bhl.title.2171 (letzter Zugriff: 17.10.2020).
  • Carl Chun: Aus den Tiefen des Meeres: Schilderungen von der Deutschen Tiefsee-Expedition, 2. Aufl. 1903, DOI 10.18452/2 (letzter Zugriff: 17.10.2020).
  • Findbuch: K001 Deutsche Tiefsee-Expedition; Laufzeit: 1897–1911 (1999, 2011), Historische Arbeitsstelle, Museum für Naturkunde Berlin, 2018. 

 

Bildunterschriften

  • Abb. 1: Glasnegativ Haifang, Silbergelatine-Trockenplatte, Fritz Winter, 1899, 12 x 9 cm, daneben der beschriftete Zettel, MfN, HBSB, K001 Nr. 311, © Carola Radke, MfN.
  • Abb. 2: Carl Chun: Aus den Tiefen des Weltmeeres: Schilderungen von der Deutschen Tiefsee-Expedition, Jena 1900, Bibliothek des Museum für Naturkunde, Allgemeine Zoologie und Entomologie, Signatur Lb 21: F4, © Carola Radke, MfN.
  • Abb. 3: Fahrtenbücher, aufgeschlagen im Jahr 1899, mit eingeklebter Fotografie, HBSB, K001 Nr. 1558, © Carola Radke, MfN.