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Auf der Suche nach kosmischen Krümeln

Lutz Hecht auf dem Dach des Museums

Dieser Artikel erschien zuerst in unserem Journal für Natur (Ausgabe 3/2020).

Weltweit rieseln jeden Tag mehrere Tonnen kosmischen Staubs auf die Erdoberfläche und bleiben – sehr oft unbemerkt – liegen: auf dem Hausdach, in einem Brunnen oder im Sandkasten. Der kosmische Staub ist das Überbleibsel vergangener Kollisionen von Himmelskörpern im Asteroidengürtel.

Thilo Hasse hörte vor etwa fünf Jahren davon, dass Mikrometeorite überall auf der Welt verstreut liegen. Welt verstreut liegen. Seit frühester Kindheit ist sein Hobby die Astrophysik und er beschäftigt sich mit der Entstehung von Sternen. Nun war sein Sammlersinn geweckt. "Ich habe mich mit einem Magneten bewaffnet Richtung Teufelsberg aufgemacht. Mein Ziel war eine Sandgrube, um Mikrometeorite zu finden", sagt Hasse, der Landschaftsökologie studiert hat und bei einem Verlag arbeitet. Und wie es viele Hobbyforscher erleben, erging es auch ihm zu Beginn: Er scheiterte krachend. "Alles Mögliche hing an meinem Magneten. Aber nicht ansatzweise ein Mikrometeorit", sagt er schmunzelnd.

Heute weiß er, dass eine Sandgrube am Teufelsberg nicht der richtige Ort ist, um nach außerirdischen Staubkörnern zu suchen. Gesucht und gefunden werden sie vor allem auf Flächen mit wenig Pflanzen und Erosion, die nur aus der Luft zugänglich sind. Dort können die Körner, einmal gelandet, lange Zeit liegen bleiben. In der Stadt sind das etwa große Flachdächer. Gute Orte sind aber auch beispielsweise die Eisflächen in der Antarktis oder der Meeresboden, wo in den vergangenen Jahrzehnten wissenschaftliche Untersuchungen stattfanden.

Den 45-jährigen Berliner, der Geologie im Studium nur als Nebenfach hatte, ließen die Mikrometeorite nicht mehr los. Finden, das war die eine Sache, noch viel schwerer ist aber die genaue Analyse dessen, was er da fand. Er wandte sich an die Freie Universität Berlin und das Museum. Ralf Mielke, Mineraloge, und Lutz Hecht, Impaktforscher, halfen bei der ersten Analyse von Mikrometeoriten. Und tatsächlich befanden sich unter Thilo Hasses ausgewählten Partikeln Mikrometeorite. Aus der Sammelleidenschaft und dem Austausch mit den Profis ist mittlerweile ein Bürgerforschungsprojekt entstanden. "Kosmisches Material kann jede und jeder einsammeln", sagt Projektleiter Lutz Hecht. "Auf praktisch jeder horizontalen Dachfläche lässt sich kosmischer Staub finden. Und so wollen nur Forschende des Museums, der Freien Universität Berlin, der Technischen Universität Berlin, des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt in Berlin Adlershof und viele weitere Partner gemeinsam mit Berlinerinnen und Berlinern wertvolle Mikrometeorite für die Wissenschaft suchen.

Mikrometeorite

"Über die Analyse der Mikrometeoriten wollen wir neue Erkenntnisse darüber erhalten, wie und woher kosmisches Material auf die Erde kommt", sagt Hecht. Beim Citizen-Science-Projekt sind Bürger:innen an dem gesamten Forschungsprozess beteiligt: Ob bei der Probennahme, der Aufbereitung des Materials oder bei der Auswertung. "Oft können Bürger:innen bei Citizen-Science-Projekten hauptsächlich Daten sammeln und übermitteln. Das ändern wir: Wir öffnen die Türen zu Laboren und zu jedem Schritt, den wir Wissenschaftler:innen machen, einschließlich der Auswertung und Publikation von Ergebnissen", sagt Hecht.

Im Frühling oder Sommer, es sollte besser trocken sein, wird zunächst auf ausgesuchten Dächern Material mit einem Besen zusammengefegt. Anschließend werden die Partikel von 0,1 bis 0,8 Millimeter Größe herausgesiebt. "Mit einem starken Magneten trennt man das oft eisenhaltige kosmische Material von anderen Partikel, wie etwa Baustaub oder Feinsand", sagt Thilo Hasse. Die Ausbeute wird gewaschen, leichte Partikel verworfen und anschließend das verbleibende Material unter dem Mikroskop untersucht. "Bei diesem sehr aufwändigen Arbeitsschritt kommt es auf die Mithilfe von Freiwilligen an, die die interessanten Objekte herauspicken", sagt Hecht. Ob es sich dabei tatsächlich um Mikrometeorite handelt, kann zum Beispiel mit einem speziellen Elektronenmikroskop überprüft werden. Dazu analysiert man die Oberflächenstrukturen und die chemische Zusammensetzung der Partikel. Das Museum ist mit seinem geochemischen und mikroanalytischen Laborkomplex entsprechend ausgestattet. Außerdem unterhält es eine beachtliche Sammlung an Meteoriten: Insgesamt finden sich hier etwa 12.000 Meteoriten von Fundstellen aus allen Teilen der Welt. Diese Sammlung ist als Vergleichsmaterial in diesem Projekt von immenser Bedeutung.

Eine Pilotphase mit 20 Bürgerforschenden fand 2019 statt. Das Interesse an dem Projekt war weitaus größer als die Anzahl der Plätze. Auch deshalb habe man einen Antrag in der Ausschreibung zur Förderung bürgerwissenschaftlicher Vorhaben beim Bundesministerium für Bildung und Forschung gestellt. "Von bundesweit über 80 Projektskizzen wurde eine kleine Auswahl zur Förderung empfohlen und unser Mikrometeoritenprojekt ist leider nicht dabei. Auch das ist ein wichtiger Teil unserer Forschungsarbeit: Fördergelder für innovative und einmalige Projekte einwerben. Nicht immer klappt das", sagt Hecht. Er plant jetzt, wie das Projekt weitergehen soll. "Die Suche nach den kosmischen Krümeln lohnt sich. Wir machen weiter, um neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu bekommen und zugleich Bürgerwissenschaft zu fördern." Der Impaktforscher des Museums glaubt, dass Interessierte im Frühjahr 2021 wieder mit auf Mikrometeoritensuche gehen können.

Dem kosmischen Staub und dem Projekt bleibt auch Thilo Hasse treu. "644 Mikrometeorite habe ich bereits identifiziert und im Learning by Doing die Technik für die Probennahme verbessert. Mit einem Blick auf die Beschaffenheit des Daches kann ich oft schon beurteilen, ob es sich lohnt, mit der Kehrschaufel auf das Dach zu steigen", lacht Hasse. Ein Hoch auf Kehrschaufeln für die Wissenschaft!

Mikrometeorite

Text: Carmen Schucker
Fotos: Pablo Castagnola