Dieser Artikel erschien zuerst in unserem Journal für Natur (Ausgabe 1/2019).
Eine offene, digitale Sammlung entsteht
Eine Flugreise von 12.000 Kilometern, um tote Wegwespen zu untersuchen: Akira Shimizu von der Tokyo Metropolitan University forscht über das Paarungsverhalten einer Wegwespenart (Pompilidae). Von den Exemplaren aus der Sammlung des Berliner Naturkundemuseums, aufgespießt auf Nadeln, erhofft er sich Aufschluss über anatomische Besonderheiten. Im Fokus stehen die massiven Beine der Männchen. Sind sie vielleicht bei der Paarung von Vorteil? Noch wertet er seinen Berliner Besuch aus.
Befänden wir uns schon im Jahr 2030, hätte sich Shimizu den weiten Weg aus Japan in die deutsche Hauptstadt sparen können und es wäre kein CO2 in die Luft gelangt. Denn die 30 Millionen Objekte im Naturkundemuseum werden in den kommenden zehn Jahren digitalisiert. Anschließend kann sie jeder von überall auf der Welt in einer Datenbank abrufen. Eine Mammutaufgabe: Die kleinsten Objekte sind staubkorngroß, die größten sind meterhohe Dinosaurierfossile. Mittels verschiedener Foto-Techniken landen die Insekten und alle anderen naturkundlichen Objekte, die winzigen Labels in Sütterlinschrift und QR-Codes in einer Datenbank.
Etwa zehn Prozent der Sammlung sind bereits in der Datenbank
"Big Data mit unseren naturkundlichen Objekten zu machen, bietet der Wissenschaft zig Antworten auf aktuelle und künftige Forschungsfragen", sagt Bernhard Schurian, zuständig für die Digitalisierung. "Mit hochauflösenden Bildern und teilweise sogar 3D-Animationen ist alles bis auf das dünnste Haar zu erkennen."
Reinzoomen, umdrehen, der Blick von oben oder unten: Das alles ist kein Problem. Etwa zehn Prozent von 30 Millionen Objekten sind bereits digitalisiert. Jetzt ist der Rest dran. Doch wie digitalisiert man 30 Millionen Objekte?
Mit neuer Technik können bald 7.500 Objekte am Tag erfasst werden
"Mit einer Fließbandtechnik werden wir bis zu 7.500 Objekte am Tag digitalisieren", sagt Schurian. Heute schaffen die Digitalisierungsmitarbeitenden etwa 500 Objekte am Tag. Nur die besonders wertvollen Typus-Exemplare, an denen eine Art erstmals beschrieben ist, werden wohl mit der aufwendigeren 3D-Technik digitalisiert. Hierfür hat das Museum gerade einen von weltweit drei existierenden DISC 3D-Scannern für Insekten bekommen.
Von frei zugänglichen, digitalen und enzyklopädischen Sammlungen können überall in der Welt Menschen profitieren. "Wir öffnen unsere Sammlung für alle, um das Wissen um die Natur zugänglich zu machen und Raum für Innovation zu schaffen", sagt Frederik Berger, wissenschaftlicher Leiter der Sammlungsdigitalisierung. "Die Medizinforschung, die Kunst- oder die Start-up-Szene Berlins arbeiten bereits mit der Sammlung und lassen sich von ihr inspirieren."
Text: Carmen Schucker
Fotos: Pablo Castagnola