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Der vergessene Grasbrand

  • Glasdiapositiv eines Grasbrand vom Tendaguru aus gesehen
  • Ansicht eines aufgeschlagenen Fotoalbums zur Expedition am Tendaguru

Paula Zwolenski, Oktober 2020

Auf den ersten Blick wirkt die Aufnahme einer Landschaft wie falsch im Archiv einsortiert: Das Glasdiapositiv befindet sich im wissenschaftlichen Konvolut einer der bedeutendsten Ausgrabungen von Dinosaurierskeletten der Geschichte. Das Motiv der Glasplatte zeigt ein Buschfeuer, dessen Aschewolken sich in nordöstliche Richtung ausbreiten. Die auf dem Diarahmen vermerkten Daten ("MB.DTE.Dia82") sowie der handschriftlich notierte Titel "Grasbrand vom Tendaguru aus gesehen" verweisen auf die Deutsche Tendaguru-Expedition (1909–1913), abgekürzt "DTE", deren Sensation in dem Fund des Skelettes des berühmten Brachiosaurus Brancai liegt. Sie wurde in der damaligen Kolonie Deutsch-Ostafrika (1885–1918), heute Tansania, durchgeführt. Doch wofür wurde das Dia verwendet, welche Rolle spielte das scheinbar marginale Naturereignis und welche Bedeutung hat dieses Bild-Objekt heute?  

Mit einer Plattenkamera dokumentierten die Expeditionsleiter Edwin Hennig (1882–1977) und Werner Janensch (1878–1969) den Expeditionsablauf fotografisch. Die vor Ort belichteten Glasnegative schickte man zur Entwicklung und Auswertung nach Deutschland. Dort wurden sie zum Beispiel auf Papier abgezogen, in Alben eingeklebt und in Zeitschriften publiziert. Zudem fertigte man Diapositive an. Das vorliegende Exemplar ist eines der wenigen nachträglich kolorierten Glasdias der fotografischen Sammlung. Den Sitzungsberichten der Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin von 1909 und 1912 zufolge, fanden die Diapositive im Nachgang der Expedition in Vorträgen Verwendung, wo sie mit Hilfe von Projektoren gezeigt werden konnten. Der schützende Rahmen, auf dem wir einige Fingerabdrücke sehen, erlaubte eine häufige Verwendung des Dias, ohne dabei das Bild zu zerstören. Um es weiterhin konsultierbar zu machen, haben die Archivarinnen der Historischen Arbeitsstelle das Diapositiv in einen Umschlag verpackt und beschriftet. Die Signatur "PM B V/222" steht für das Objekt Nummer "222" im Konvolut "V" (Diapositive), das Teil der Bildersammlung ("B") des Paläontologischen Museums ("PM") ist.

Wie im Fall der Valdivia-Expedition bilden die Fotografien vom Tendaguru nicht nur Fundstücke und Fundorte ab, sondern auch Landschaften, Arbeiter und Alltag. Sie dienten zum einen der Dokumentation von Arbeitsabläufen und zum anderen der Demonstration des wissenschaftlichen Fortgangs: Beispielsweise sicherte ihre Publikation in Zeitungen das öffentliche Interesse und die Aufmerksamkeit von Fördermittelgebern. Fotografien galten dabei als besonders 'authentisch', obwohl sie schon immer technisch manipulierbar waren. Es muss auch bedacht werden, dass diese Aufnahmen stark von den kolonialen Bestrebungen des Kaiserreiches um 1900 geprägt sind. Sie vermitteln also ein politisches Bild, das kritisch untersucht werden muss.

Die Umstände des Brandes und seine Auswirkungen auf das Expeditionsgeschehen lassen sich bisher nur spekulativ skizzieren. Es steht zu vermuten, dass dieser Teil der Berichterstattung zur Expedition war. Die Gebrauchsspuren auf dem Diapositiv erlauben uns Einblicke in das wissenschaftliche Arbeiten rund um die Expedition: vor Ort, in der unmittelbaren Nachbereitung und im heutigen Archiv. Sie helfen uns auch, über die Produktion und den Gebrauch von Bildern im frühen 20. Jahrhundert vor dem Hintergrund deutscher Kolonialpolitik nachzudenken.

Im Jahr 2024 beschäftigte sich die Autorin erneut mit dem Bildobjekt. Lesen Sie einen zweiten Textbeitrag "Unerkannt. Koloniale Fotografien" unter dem folgenden Link.

 

Steckbrief

  • Name: Glasdiapositiv  "Grasbrand vom Tendaguru aus gesehen"
  • Signaturen: MB.DTE.Dia82 (alte Signatur), PM B V/222 (Historische Arbeitsstelle)
  • Provenienz: Tendaguru-Expedition (Tansania 1909–1913), Paläontologisches Museum am Museum für Naturkunde Berlin, Historische Arbeitsstelle am Museum für Naturkunde Berlin 
  • Material: Glasdiapostiv (koloriert), Diarahmen (beschriftet)
  • Fotograf: Werner Janensch (1878–1869) oder Edwin Hennig (1882–1977)
  • Jahr der Entstehung: zwischen 1909 und 1913
  • Ort der Entstehung: Tendaguru, Tansania
  • Verschlagwortung: Tendaguru-Expedition, Landschaft, Deutsch-Ostafrika, Glasdia, Tendaguru, Tansania, Werner Janensch, Edwin Hennig 

 

Literatur

  • Ina Heumann et al. (Hg.): Dinosaurierfragmente – Zur Geschichte der Tendaguru-Expedition und ihrer Objekte,1906–2017, Göttingen 2018.
  • Kunstgeschichtliches Seminar der Universität Hamburg: "Dia-Herstellung", in: Diaarchiv des kunstgeschichtlichen Seminars der Universität Hamburg (letzter Zugriff: 15.10.2020).
  • Maria Männing: "Bruno Meyer and the Invention of Art Historical Slide Projection", in: Photo-Objects: On the Materiality of Photographs and Photo Archives in the Humanities and Sciences, hg. v. Julia Bärnighausen et al., Edition Open Access, Studies 12, Max Planck Institut für Wissenschaftsgeschichte Berlin, S. 275–290, Link zum Open Access Artikel (letzter Zugriff: 17.10.2020).
  • Marco Tamborini und Mareike Vennen: "Disruptions and Changing Habits: The case of the Tendaguru expedition", in: Museum History Journal, Jg. 10 (2017), H. 2, S. 183–199. DOI 10.1080/19369816.2017.1328872 (letzter Zugriff: 17.10.2020).
  • Mareike Vennen: "Träger-Arbeiten. Die Zirkulation kolonialer Dinge und Bilder der Tendaguru-Expedition (1909–1913)", in: Der Träger. Zu einer 'tragenden' Figur der Kolonialgeschichte, hg. v. Sonja Malzner und Anne D. Peiter, Bielefeld 2018, S.157–180.

 

Quellen

  • Edwin Hennig: "Die Entstehung der Dinosaurier-Lager", in: Sitzungsberichte der Gesellschaft Naturforschender Freunde, Jg. 1912, Nr. 2b, S. 137–142.
  • Werner Janensch: "Erster Bericht über die Tendaguru-Expedition", in: Sitzungsberichte der Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin, Jg. 1909, Nr. 1, S. 358–360.
  • Gustav Tornier: "Vorbericht über die Festsitzung für die Tendaguru-Expedition", in: Sitzungsberichte der Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin, Jg. 1912, Nr. 2b, S. 115–120.

 

Bildunterschriften

  • Abb. 1: "Grasbrand vom Tendaguru aus gesehen", Glasdiapositiv (koloriert und umfasst mit einem beschrifteten Diarahmen), N. N., 1909–1913, 9 x 12 cm, MfN, HBSB, PM BV/222, © Carola Radke, MfN.
  • Abb. 2: Archivansicht "Grasbrand vom Tendaguru aus gesehen", Silbergelatineabzug in Album montiert, N.N., 1909–1913, 25,5 x 35 x 4 cm, MfN, HBSB, PM BIV/262, © Carola Radke, MfN.