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Die Jagd nach dem "Fuchs mit zwey Schwänzen"

  • Ansicht eines Kupferstiches von einem Fuchs mit zwei Schwänzen
  • Stempel auf der Rückseite eines Kupferstiches
  • Signaturen auf der Rückseite eines Kupferstichs

Marna Schneider

Etwas unhöflich, dem Betrachter den Rücken zugewandt, blickt uns ein Fuchs seitlich aus einem Kupferstich entgegen. Die dezente rote Kolorierung seines Fells hebt ihn inmitten einer romantischen Waldatmosphäre hervor. Auffällig ist, dass ihn mehr als nur einen Schweif ziert. Die fein geschwungene Bildunterschrift hebt hervor: "Dieser Fuchs mit zwey Schwänzen ist den 14ten Februar 1734 in der Heyde bei Oranienburg 4 Meilen von Berlin geschossen und der Balg wegen seiner Seltenheit auf der Königl. Kunst und Naturalien Kammer auf behalten worden."

Der Kupferstich ist heute Teil der Historischen Bild- und Schriftgutsammlungen der Historischen Arbeitsstelle im Museum für Naturkunde. Ein Inventarbuch der Bildsammlungen verrät, dass er im Jahr 2000 aus der Kustodie für Säugetiere übernommen wurde. Als Einzelblatt mit nur wenigen Angaben und keinem Hinweis zum Künstler war die Geschichte dieses Stiches bisher weitgehend ein Geheimnis. Lediglich ein Stempel der "Bibliothek des Kgl. Zoolog. Museums BERLIN" verweist darauf, dass der Stich zur Sammlung des 1810 gegründeten Königlichen Zoologischen Museums gehörte, welches später in das heutige Museum für Naturkunde überging.     

Die Bildunterschrift bringt uns auf eine weitere Spur: Als Vorlage für den Kupferstich soll demnach die abgezogene Haut eines Fuchses gedient haben, der 1734 erjagt und in der Berliner Kunstkammer aufbewahrt wurde. Auf der Suche nach dem Fuchsbalg in Dokumenten über die Berliner Kunstkammer finden sich tatsächlich Hinweise: "In einer aparten Küste lag ein Fuchsbalg mit zweyen schwänzen, wie er wurde mir zu visitiren gegeben um zu sehen ob keiner angenähet ist", heißt es in einer Reisebeschreibung von Johann Andreas Silbermann aus dem Jahre 1741, die sich heute in der Staats- und Universitätsbibliothek Dresden befindet. Ein anonym herausgegebener Sammelband aus dem Bestand der Staatsbibliothek zu Berlin aus den 1740er oder 1750er Jahren über "Curiositeten" erwähnt zusätzlich, dass "Markgraf Philip (1669–1711)" den Fuchs erlegt habe. Auffällig ist aber, dass zwischen dem Tod des Markgrafen – sollte es sich um Markgraf Philipp Wilhelm von Brandenburg-Schwedt (1669–1711) handeln – und dem genannten Abschussdatum des Fuchses im Kupferstich mehr als 20 Jahre liegen. Welcher Jäger tatsächlich den Fuchs erschoss, muss also offen bleiben.

Eine andere Spur löst das Rätsel um den Künstler: Im Vergleich mit weiteren Blättern des gleichen Drucks, die sich heute unter anderem in der Kunsthalle Karlsruhe befinden, bestätigt sich, dass es sich um eine Arbeit des populären Tiermalers und Verlegers Johann Elias Ridinger (1698–1767) handelt. Ridingers Signatur wurde im Exemplar des Museums für Naturkunde am unteren rechten Blattrand weggeschnitten, genau wie die Blattnummer am oberen rechten Rand. Auch die Kolorierung ist nur hier vorhanden – sie muss nachträglich vorgenommen worden sein, denn das Karlsruher Vergleichsexemplar ist weder beschnitten noch koloriert. Im März 2022 kommt es dann zu einem Glücksfund: 20 Stiche Ridingers, u. a. aus dem Album über "besonder[er] Thiere" von 1768, werden  im Museum für Naturkunde Berlin wiederentdeckt. Aufgrund der überlieferten Signaturen ist zu vermuten, dass auch der Fuchs-Stich ursprünglich zum Kontext einer größeren Blattsammlung des früheren Zoologischen Museums gehörte.

Am Ende kann nur gemutmaßt werden, ob Stich und Balg zusammen aufbewahrt und gezeigt oder sogar ausgehändigt wurden. Heute können wir nur noch den Kupferstich betrachten, der Balg aber bleibt verschollen. Auch wenn es in dieser Geschichte noch verwilderte Fährten zu entdecken gibt, so eröffnet uns der Kupferstich den wundersamen Weg in die höfische Welt der Jagdrituale und der kulturellen Seh- und Sammelgewohnheiten zwischen Barock und Aufklärung. Ebenfalls legt er uns Fährten durch verschiedene Archive. Er trägt damit auch zur Erforschung der Vor- und Frühgeschichte des Museums für Naturkunde und seiner Bildersammlungen bei.

Steckbrief

  • Titel: Kupferstich "Fuchs mit zwey Schwänzen"
  • Signatur: ZM B IX/1277 (Inv. Nr.: ZM-B 1273)
  • Provenienz: Bibliothek des Königlichen Zoologischen Museums Berlin nach 1810, Bestand des Naturkundemuseums nach 1889, Historische Arbeitsstelle seit Frühjahr 2000 (übergeben von der Abteilung Säugetiere im Museum für Naturkunde)
  • Material: Kupferstich auf Papier, nachträglich rot koloriert
  • Urheber: Johann Elias Ridinger (1698–1767)
  • Zeit der Entstehung: ca. 1734
  • Ort der Entstehung: evtl. Augsburg
  • Verschlagwortung: Fuchs, Kuriosität, Kunstkammer, Jagd, Kupferstich, Johann Elias Ridinger

Literatur

  • Norbert Lieb: "Ridinger, Joh. Elias", in: Allgemeines Lexikon der Bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart [Thieme-Becker], hg. v. Hans Vollmer, Bd. 28 , Leipzig 1931 (Nachdr. Zwickau 1978), S. 308–310.
  • Walter Koschatzky: Die Kunst der Graphik. Technik, Geschichte, Meisterwerke, 4 Bde., München 1999. 
  • Werner Rösener: Die Geschichte der Jagd. Kultur, Gesellschaft und Jagdwesen im Wandel der Zeit, Düsseldorf/Zürich 2004, insbes. S. 254–304.
  • Ellen Spickernagel: "Dem Auge Auf Die Sprünge helfen. Jagdbare Tiere und Jagden bei Johann Elias Ridinger (1698–1767)", in: Topos Tier. Neue Gestaltungen des Tier-Mensch-Verhältnisses, hg. v. Annette Bühler-Dietrich und Michael Weingarten, Bielefeld 2016, S. 103–123.
  • Wolf Stubbe: Johann Elias Ridinger, Hamburg/Berlin 1966.

Quellen

  • Anonym: o. T. [Schlossräume, Königliche Bibliothek, Zeughaus, Inhalt der Kunstkammer in 168 Nummern], o. O. o. J. [vermutlich zwischen 1742 und 1752], Bl. 10v [Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Signatur: SBB PK, Ms. Boruss. quart. 229].
  • Jean Henry: Allgemeines Verzeichniss der Königlichen Kunst-, Naturhistorischen und Antiken-Museums, Berlin 1805, S. 12. 
  • Johann Elias Ridinger: Genaue und richtige Vorstellung der wundersamste[n] Hirsche[n] sowohl als anderer besonder[er] Thiere, welche von großen Herren selbst gejagt, geschoßen, lebendig gefangen, oder gehalten worden, Augsburg 1768, Bl. 34 [Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Inventarnr. PK II 129-10].
  • Johann Andreas Silbermann: Anmerckungen derer Auf meiner Sächsischen Reysse gesehenen Merckwürdigkeiten [...], o. O. 1741, S. 37 [Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Signatur: Mscr.Dresd.App.3091, Digitalisat SLUB Dresden. (letzter Zugriff: 23.09.2020)].

Bildunterschriften

  • Abb.1: "Fuchs mit zwey Schwänzen", Kupferstich (nachkoloriert), Johann Elias Ridinger, ca. 1734, 34 x 25 cm, MfN, HBSB, ZM B IX/1277, © Carola Radke, MfN.
  • Abb. 2: Beschriftung und Stempel des Königlichen Museums, aus: "Fuchs mit zwey Schwänzen", Kupferstich (nachkoloriert), Johann Elias Ridinger, ca. 1734, 34 x 25 cm, MfN, HBSB, ZM B IX/1277, © Carola Radke, MfN.
  • Abb. 3: Beschriftung der Historischen Arbeitsstelle, aus: "Fuchs mit zwey Schwänzen", Kupferstich (nachkoloriert), Johann Elias Ridinger, ca. 1734, 34 x 25 cm, MfN, HBSB, ZM B IX/1277, © Carola Radke, MfN.