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Ein Anfang l Glitzern & Denken

Ines Theileis © Stefan Tietz

Ines Theileis ist die künstlerische Leiterin und Moderatorin von Glitzern & Denken. Hier haben wir sie euch bereits vorgestellt. Nun schildert sie uns selbst ihre Begeisterung zum Thema „Klang“ und zeigt, wo sich dieser im Museum für Naturkunde finden lässt.

Also ich komme ja eigentlich aus dem klassischen Gesang. Habe mich früh in die Oper verliebt und nie aufgehört sie zu lieben. Dieser Klang, diese Schönheit, diese Stimmgewalt überall. Bis heute erstaunt es mich, dass wir Menschen zu sowas fähig sind, studiere und lerne seit über 20 Jahren alles, was ich nur dazu begreifen kann. Wie erzeugt man mit einem menschlichen Körper diese Klänge, die sich ohne Mikrofon mühelos im Raum ausbreiten? Wie haben wir Menschen das erlernt? Allein die Geschichte der Oper und der dazugehörigen Musiker*innen füllt Bibliotheken. Sie erzählt am Rande immer auch Weltgeschichte mit. Wusstet ihr, dass Mozart zu seiner Zeit Revolutionäres auf die Bühne brachte? Er brach mit gesellschaftlichen Tabus, um Missstände anzuprangern (z.B. das Herrenrecht in „Die Hochzeit des Figaro“) oder machte Opern volksnäher und leichter verständlich, indem er sie in deutscher Sprache („Die Entführung aus dem Serail“, „Die Zauberflöte“) und nicht, wie zu dieser Zeit in Wien noch üblich, auf Italienisch vertonte. Dies spiegelte einen Zeitgeist wider. Und erst seine Popularität, seine Genialität in der kompositorischen Ausführung ermöglichte ihm das. Mozart ist für Fans der klassischen Musik was Charles Darwin für Biologen ist.

Aber das Begeistern geht noch weiter: Klang ist in physikalischer Hinsicht unglaublich faszinierend. Wie etwas klingt, hängt sowohl davon ab, wie die Schwingung erzeugt wird, als auch davon, in welchem Körper sie verstärkt wird und in welchem Raum sie schließlich erklingt. Wie hoch ist der Raum? Aus welchem Material bestehen die Wände und der Boden? Welches Klangerlebnis wird angestrebt? Akustiker*innen können das ausrechnen. Musiker*innen, die ohne Verstärkung, also akustisch spielen, können das erleben und gestalten. Der große Dinosauriersaal im Museum für Naturkunde z. B. ist wunderschön, aber absolut überhallig. Das macht das Singen oder Musizieren, ja sogar das Sprechen über größere Distanzen eher schwierig. Aber in diesem riesigen Raum kann man wunderbare Klänge erzeugen, man kann mit der Stimme über den Köpfen der Dinosaurierskelette tanzen, sich an den Wänden mit einem Staccato abstoßen und mit einer nach Belieben gesetzten Kadenz auf dem Steinboden landen.

Und dann sind da noch die 1.000 verschiedenen Arten zu singen. Im Flamenco wird die Stimme zum Beispiel viel direkter benutzt als im Klassischen Gesang und die italienische Volksmusik, der Ursprung des Belcanto, ist sangbar bis ins Mark. Wenn man die Skalen der Arabischen Musik fühlt, ihre so viel komplexere Grundrhythmik als die der europäischen Klassik, dann fragt man sich, welche feinen Zwischentöne in der Sprache bestehen. Oder Jazz, der so simpel ist, dass es unendlich viel Platz für Virtuosität und Individualität gibt. Es gibt noch so viel mehr (aber das würde hier und jetzt zu weit führen) und alle Gesangsstile haben ihren eigenen Stimmsitz, alle drücken ein anderes Selbstverständnis aus, sind der Nachhall eines Zeitgefühls. Und sie verändern sich ständig, werden durch Neuinterpretationen überformt und Musiker*innen schaffen so klanglich eine Vision vom morgen. Ob diese dann über die Zeit besteht und vielleicht sogar als Blaupause genommen wird, wird die natürliche Auslese durch die Musik hörenden Menschen entscheiden.

Viele Kompositionen werden wieder vergessen, manche nie gehört und doch lieben wir Menschen Musik und sind uns manches Mal sicher, dass das Musizieren größter Ausdruck unserer Zivilisiertheit ist. Und dann war ich schon eine Weile dabei mich zu faszinieren für immer mehr Aspekte dieses kleinen Themenfeldes, dem Singen. Da sang ich eines Tages im Museum für Naturkunde. Und man kommt so halt auch mal ins Gespräch mit ein paar Biolog*innen, die forschen, die Sammlungen pflegen und sich ganz allgemein genauso sehr für ihr Fach-, meistens sogar Spezialgebiet begeistern, wie ich für das meine. Und ich entdeckte, dass sie Sachen wissen, die sich mit meinen Interessen auf die vielfältigste Weise überschneiden: 

Da wären zum Beispiel Gesangsslehrer*innen. Ich hatte so einige. Und ich fand es immer eine faszinierende Sache, dass so ziemlich alle Zivilisationen und Epochen diesen Beruf kennen, dass wir es wichtig finden, Stimmen zu schulen.
Ein Luxus zum Gesangsunterricht gehen zu dürfen, ein riesiger Spaß welchen zu geben. Das ist ein Beruf! Ich empfinde das bis heute als Privileg. Riesige zivilisatorische Errungenschaft – dachte ich…
Dann erzählte mir Silke Voigt-Heucke von Nachtigallen. Die haben auch Gesangslehrer! Und wenn die schlecht sind, dann taugt auch die Schülerschaft klanglich nicht viel. Das merkte man im 19. Jahrhundert, wo eine Nachtigall als Haustier so manchem als eine großartige Idee schien. Man mag das verstehen, schließlich gab es damals noch nicht mal Radio. Also konnte man entweder selber Musik machen oder hatte halt 'nen Vogel. Übrigens stieß das in der Nachbarschaft nicht immer auf Gegenliebe … So 'ne Nachtigall ist echt laut! Und ausdauernd … Wie dem auch sei. Die professionellen Vogelfänger wussten, wie und wo man die Nachtigallen mit dem besten Repertoire fangen konnte. Nur weggefangen gab es jetzt einen echten Lehrermangel (Berliner Schüler*innen kennen das Problem) und damit auch ein stark sinkendes Niveau der zur Verfügung stehenden jungen Talente… Viele Bestände in Mitteleuropa haben sich bis heute nicht erholt… Berlin ist, das weiß ich dank Forschungsfall Nachtigall, übrigens nicht nur die Stadt mit den drei Opernhäusern und vielen wunderbaren Konzertsälen und einer sehr diversen Partyszene (diese befindet sich gerade in einer Reha-Phase)… Berlin ist die Hauptstadt der Nachtigallen. Und die können singen! Als in den letzten Monaten das berühmte Berghain verstummte, da ließ sich davor eine Nachtigall hören. Und die hatte ein wunderbares Set, das sie jeden Abend vor dem berühmtesten Technoclub der Welt spielte. Mit Erfolg. Es sprach sich rum. Nicht nur in der Ornithologen-Fangemeinde, sondern auch bei den Weibchen. Es gibt also zumindest eine Berghain-Affäre in diesem Jahr…
Das wüsste ich nicht ohne Biolog*innen und es ist unendlich cool. Genauso, wie die Tatsache, dass man mit der Nachtigall singen kann (ab Minute 31:00 hier zu sehen). Singt ihr im Frühjahr in Berlin einen Busch an, müsst ihr damit rechnen, dass der Busch zurück singt. Es empfiehlt sich allerdings mit sanften Belcanto-Linien zu arbeiten. Die Nachtigall am Berghain konnte noch zwei Tage später die Hook, die ich ihr an einem Samstagabend im Frühjahr 2020 rüber gesungen habe. David Rothenberg arbeitet in den letzten Jahren mit einer Klarinette und der Berliner Musikszene… die Ergebnisse sind wunderbar, wie beispielsweise hier.

Aber Biologie weiß von mehr als diesem einen Vogel mit dem Riesenrepertoire. Sie weiß zum Beispiel von Fledermäusen: Dr. Simon Riperger erklärte mir das Klangspektrum von Fledermäusen und wie laut Echoortung ist. Dieses winzige Säugetier kann höhere Töne erzeugen als für das menschliche Ohr überhaupt wahrnehmbar ist (was nachvollziehbar ist), aber sie ruft auch deutlich lauter als die bestausgebildetste Opernsängerin, die man sich vorstellen kann (Was? Aber die Fledermaus ist doch so klein?). Und dann checken Fledermäuse damit den Raum, erfassen die Größe und Beschaffenheit von Höhlen und verorten sich in der Landschaft. So wie wenn man im großen Dinosauriersaal des Museums für Naturkunde singt und die eigene Stimme in der Höhe und Weite des Raumes tanzt.

Es gibt Bioakustiker*innen, die sich mit den Klängen von Tieren beschäftigen und was diese aussagen. Es gibt Verhaltensbiolog*innen, die die Kommunikation zwischen Tieren einzelner Arten untersuchen. Die feststellen, dass es Dialekte gibt, eine Sprache und einen Klang für Erziehung, einen für die Balz und einen für die Freude am Lebendigsein. Das gibt es im zivilisierten Sein auch. Wir haben Kinderlieder und Liebeslieder, wir haben Tanzmusik und wir kommunizieren damit. Es gibt mit den Musikwissenschaften ein ganzes Forschungsfeld das sich damit beschäftigt. Wir erforschen unser Kommunizieren miteinander und wir praktizieren dies ausgesprochen regelmäßig und seit ein paar Jahrzehnten konservieren wir auch mehr und mehr von all diesen Klängen, die wir produzieren.

Das Museum für Naturkunde konserviert auch Klänge und zwar in einem der größten Tierstimmenarchive der Welt. Und Biolog*innen suchen darin Wahrheiten und neue Ansätze für ihre Forschung, wie Musiker*innen in 80 Jahre alten Aufnahmen einer Mozartoper oder eines französischen Chansons Inspiration zu finden hoffen.

Und damit zurück zu unserer Zivilisiertheit. Hier am Museum für Naturkunde habe ich nach so vielen Jahren des Studiums eine der wichtigsten Lektionen für Vokalist*innen und das Sängerin-Sein noch einmal neu gelernt: Es ist Natur. Es singt das Tier in uns. Auch wenn wir es in einen wunderbar zivilisierten Kontext setzen. Dass wir singen ist ein Urbedürfnis. Folgt einer natürlichen, einer unbedingt intrinsischen Motivation, die die Evolution auf tausendfach verschiedene Weise hervorgebracht hat. Es scheint sich bewährt zu haben und wir zivilisierten Menschen singen, weil wir Teil dieser Natur sind.