Mit Glück findet man Bernstein beim Strandspaziergang an der Ostsee. Die fossilen Harzklumpen werden vor allem nach stürmischen Wintertagen mit auflandigem Wind angespült.
Ein Team aus Forschenden des Museums für Naturkunde Berlin lässt mit pflanzlichen Einschlüssen aus Bernstein vergangene Wälder wieder aufleben. Dabei nutzen sie unter anderen die Bernsteinsammlung des Museums.
Vergangene Ökosysteme
„Es geht darum, pflanzliche Einschlüsse in Bernstein zu bestimmen und Aussagen über das Ökosystem zu treffen, aus dem die Pflanzen stammen“, sagt die Paläobotanikerin Eva-Maria Sadowski. Manche der vor Millionen Jahren in fließenden Harz eingeschlossenen Pflanzenteile – meist weniger als einen Zentimeter große Blätter, Blüten oder Samen – sind in ihrer Form und Zellstruktur gut erhalten.
„Wir können anhand dieser Fundstücke Aussagen über die Verbreitungsmuster und die morphologische Evolution von Pflanzenfamilien treffen“, sagt Sadowski. Weitere Fragen betreffen das Harz selbst. Beim Baltischem Bernstein ist unklar, welche Pflanze derart viel Harz produziert hat und welche Faktoren die massenhafte Harzproduktion ausgelöst haben.
Für die Untersuchungen gilt es zunächst, die geeigneten Stücke zu finden. „Wir haben das große Glück, mit vorsortierten Sammlungen arbeiten zu können, auch von Privatpersonen“, sagt Sadowski. Bei Baltischem Bernstein habe nur etwa jedes tausendste Stück einen Einschluss. Und nur bei zwei bis drei unter hundert Einschlüssen handelt es sich um pflanzliches Material. Und nur ein kleiner Teil davon eignet sich für eingehende Untersuchungen.
In einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft bewilligten Projekt untersucht Sadowski gemeinsam mit ihrem Doktoranden Simon Beurel Bernsteineinschlüsse aus Myanmar und China. Die Funde stammen aus der mittleren Kreide vor ca. 98 Millionen Jahren und dem mittleren Miozän vor ca. 15 Millionen Jahren. Die neu entdeckten Funde aus beiden Ländern wurden bislang wenig auf die Spuren vergangener Pflanzengemeinschaften untersucht. Die neuen Erkenntnisse aus diesem Projekt tragen unter anderem zum Verständnis der rasanten Ausbreitung und Diversifizierung der Blütenpflanzen in der Kreidezeit bei. Darüber hinaus geben sie Einblicke in die damaligen harzproduzierenden Wälder, ihre Artenvielfalt und Lebensräume.
Vielversprechende Revisionen
Manche der Bernstein-Fundstücke werden im Museum befindlichen Bernsteinlabor für die Untersuchung geschliffen und poliert um einen möglichst guten Blick auf die Inklusen zu erhalten. In nächsten Schritt werden die Bernsteininklusen unter dem Lichtmikroskop untersucht und fotografiert. In manchen Fällen werden aus den Inklusen kleine Proben für elektronenmikroskopische Aufnahmen entnommen. Um den inneren Aufbau der Pflanzeninklusen zu erfassen, setzt die Paläobotanikerin und ihr Team Mikro-Computertomographie am Museum und am Deutschen Elektronen-Synchrotron (DESY, Hamburg) ein.
Das Museum bewahrt eine der größten und bedeutsamsten Sammlungen Baltischen und Bitterfelder Bernsteins in Europa. Viele der Fundstücke wurden bislang nur einmalig untersucht und die Publikationen sind teilweise über einhundertfünfzig Jahre alt. Wissenschaftlich sind sie daher oftmals überholt, werden aber weiter zitiert. „Diese erstmaligen Beschreibungen mithilfe neuer Techniken und des aktuellen Wissenstandes zu revidieren ist natürlich sehr vielversprechend“, sagt Sadowski.
In einem neuen Projekt, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziert wird, forschen Sadowski und ihre Doktorandin Josephine Franke über diese historischen Stücke. Der Fokus liegt auf den Blütenpflanzen des Baltischen Bernsteins. Sie sind weitere Puzzleteile, um den Ursprungswald dieses Bernsteins besser verstehen zu können. Denn sowohl seine Pflanzenvielfalt als auch sein Klima sind noch nicht umfassend analysiert worden.
„Neue Erkenntnisse über die Pflanzengemeinschaften des Baltischen Bernsteinwaldes sind auch essentiell um den Lebensraum für abertausende Insekten und Spinnentieren, die aus diesem Bernstein bekannt sind, zu verstehen“, so Sadowski.
Ausgewählte Publikationen
- Beurel S, Bachelier JB, Schmidt AR, Sadowski E-M. 2024. Novel three-dimensional reconstructions of presumed Phylica (Rhamnaceae) from Cretaceous amber suggest Lauralean affinities, Nature Plants 10: 223-227. 10.1038/s41477-023-01592-w
- Beurel S, Bachelier JB, Munzinger J, Shao F, Hammel JU, Shi GL, Sadowski E-M. 2024. First flower inclusion and fossil evidence of Cryptocarya (Laurales, Lauraceae) from Miocene amber of Zhangpu (China). Fossil Record 27: 1-11. https://doi.org/10.3897/fr.27.109621
- Beurel S, Bachelier JB, Hammel JU, Shi GL, Wu XT, Rühr PT, Sadowski E-M. 2023. Flower inclusions of Canarium (Burseraceae) from Miocene Zhangpu amber (China). Palaeoworld 32: 592-606. https://doi.org/10.1016/j.palwor.2023.02.006
- Sadowski E-M, Hofman C-C. 2023. The largest amber-preserved flower revisited. Scientific Reports 13: 17. https://doi.org/10.1038/s41598-022-24549-z
- Sadowski E-M, Schmidt AR, Kunzmann L. 2022. The hyperdiverse conifer flora of the Baltic amber forest. Palaeontographica B 304: 1–148. doi: 10.1127/palb/2022/0078
- Wang B, Shi G, Xu C, Spicer RA, Perrichot V, Schmidt AR, Feldberg K, Heinrichs J, Chény C, Pang H, Liu X, Gao T, Wang Z, Slipinski A, Solórzano-Kraemer MM, Heads SW, Thomas MJ, Sadowski E-M, Szwedo J, Azar D, Nel A, Liu Y, Chen J, Zhang Q, Zhang Q, Luo C, Yu T, Zheng D, Zhang H, Engel MS. 2021. The mid-Miocene Zhangpu biota reveals an outstandingly rich rainforest biome in East Asia. Science Advances 7: eabg0625. doi: 10.1126/sciadv.abg0625
- Sadowski E-M, Schmidt AR, Denk T. 2021. Staminate inflorescences with in situ pollen from Eocene Baltic amber reveal high diversity in Fagaceae (oak family). Willdenowia 50(3): 405–517. doi: https://doi.org/10.3372/wi.50.50303
- Sadowski E-M, Hammel JU, Denk T. 2018. Synchrotron X-ray imaging of a dichasium cupule of Castanopsis from Eocene Baltic amber. American Journal of Botany, 105 (12): 2025-2036. https://doi.org/10.1002/ajb2.1202
- Sadowski E-M, Schmidt, AR, Seyfullah LJ, Kunzmann L. 2017. Conifers of the ‘Baltic amber forest’ and their palaeoecological significance. Stapfia, 106: 1-73. ISSN 0252-192X
Projekt-Titel
Rekonstruktion fossilienreicher Bernsteinwälder Ostasiens anhand von Samenpflanzen-Inklusen (Projektnummer 423862824)
Hin zu einer ganzheitlichen Rekonstruktion des ‚Baltischen Bernsteinwaldes‘ – Die Diversität der Blütenpflanzen und ihre paläoökologische Bedeutung (Projektnummer 535296903)