Sarina Schirmer & Katharina Ziegler
Auf den ersten Blick wirkt es unscheinbar: Ein braunes, leicht fleckiges Skizzenbuch von Georg Zenker (1855–1922) im Archiv des Museums für Naturkunde Berlin (MfN). Zenker korrespondierte in den Jahren 1893 bis 1922 zunächst als Kolonialbeamter und dann als Privatsammler aus der damaligen deutschen Kolonie mit dem Museum. Von der Forschungsstation Jaunde/Yaoundé, die er bis 1895 leitete, und später von seiner Plantage in Bipindi aus sandte er neben Objekten auch Briefe und Bilder nach Berlin. Während der Suche nach Dokumenten des Sammlers fanden wir auch ebenjenes Skizzenbuch, welches Zeichnungen einheimischer Vögel in Kamerun enthält. Neben der Aufschrift "Vögel" ist es mit einem Stempel versehen, welcher das Buch auf 1894 datiert.
Öffnen wir den in Leinen gebundenen Deckel des Buches, offenbart sich eine Reihe von Vogelzeichnungen. Mit ihnen hielt Zenker seine Beobachtungen während seiner Tätigkeit als Sammler in Bleistiftskizzen fest, notierte für manche Funde den jeweiligen Lebensraum, die Laute der Tiere sowie deren 'einheimische' Namen und kolorierte seine Skizzen in Aquarell. Die meisten der 42 im Buch abgebildeten Vögel sind auf einem Ast sitzend dargestellt. Manche Skizzen wurden auch mit einem komplexeren landschaftlichen Hintergrund wie in der Ferne angedeuteten Bäumen, Gräsern und Blumenzeichnungen versehen.
Im Archiv finden sich zahlreiche Spuren, die den hohen Stellenwert des Zeichnens in der zeitgenössischen Naturkunde belegen. Neben dem Jagen und Präparieren von Tieren war die Dokumentation durch Zeichnungen und später durch Fotografien fester Bestandteil des wissenschaftlichen Sammelns. Zenker stand nicht nur mit den wissenschaftlichen Kustoden des Museums, sondern auch mit Anna Held (1859–1898) und Hedwig von Zglinicki (vermutlich 1861–1933), die beide als Illustratorinnen für das Museum tätig waren, in Kontakt. Jesko von Puttkamer (1895–1907), Gouverneur in Kamerun, beschrieb Zenkers Wohnhaus nach einem Besuch in Bipindi 1897 als "(…) ein vollkommenes Museum, voll von ethnographischen Merkwürdigkeiten, Photographien, Öl- und Aquarellskizzen, Herbarien, Tierfellen und Schädeln, Waffen, Fetischen, Vogelbälgen und dergl." In einem Bericht des Direktors des Museum für Naturkunde Berlin an das Preußische Kultusministerium von 1894 wurde der hohe wissenschaftliche Wert seiner Zusendungen gelobt. Zenker habe durch die "(…) Beifügung von flüchtig hingeworfenen Aquarellen, durch welche die den einzelnen Thieren eigenthümlichen Stellungen und die Farben sehr gut veranschaulicht wurden, die Möglichkeit gegeben, hierdurch gute Abbildungen anzufertigen." Zenkers Aquarelle waren also am Museum höchst willkommen. Sie vermittelten einerseits einen Eindruck vom lebenden Tier und wurden zum Teil sogar für Bestimmungen genutzt. Andererseits konnten sie den professionellen Illustrator*innen am Haus als Vorlage für deren Bilder dienen.
Welche konkrete Funktion hatte nun dieses naturkundliche Bilderbuch für Zenker, welchen Wert hatte es für seine Auftraggeber in Berlin? In den Zenker zugeordneten Akten wurden hierfür bislang keine Hinweise gefunden. Jedoch liefern kleinere Vermerke neben den Zeichnungen einen Hinweis auf die Bedeutung des Skizzenbuchs für die historische Forschung.
Auf einigen Blättern ist in Bleistift ein Datum oder eine dreistellige Feldnummer vermerkt. Diese Zahlen korrespondieren mit der Etikettierung von Vogelpräparaten, die Zenker einst an das Zoologische Museum Berlin sandte. In der ornithologischen Sammlung des Naturkundemuseums sind diese noch heute aufbewahrt. An den teilweise vorhandenen originalen Etiketten ist der von Zenker handgeschriebene Hinweis auf die Feldnummer angebracht. So können einzelne Zeichnungen des Skizzenbuchs den dazugehörigen Präparaten zugeordnet werden. Es ist zu vermuten, dass die Bilder einst als ergänzendes Begleitmaterial von präparierten Tieren ins Museum gelangten. Sie trugen nicht nur dazu bei, diese Tiere in einem wissenschaftlichen Kontext zu verorten, sondern dokumentierten auch Zenkers Blick auf ihren vermeintlichen Naturzustand.
Im Gespräch mit den heutigen Expert*innen der Vogelsammlung des Museums wird dieser nun historisch gewordene Blick deutlich, der nicht vor Irrtümern gefeit ist. In der genauen Betrachtung der Bilder durch Sylke Frahnert, Wissenschaftliche Leitung der Ornithologischen Sammlung, und Pascal Eckhoff, Sammlungsmanager, zeigte sich, dass einige der Zeichnungen Zenkers zu unspezifisch für eine Bestimmung der jeweiligen Art oder schlicht fehlerhaft sind. Trotzdem stellt das Skizzenbuch eine bedeutsame historische Quelle dar. Interdisziplinäre Forschungen zur Sammlungsgeschichte haben gezeigt, dass es – verknüpft mit Informationen, die sich verstreut über verschiedene Bereiche des Museums wie Sammlung und Archiv sowie in Publikationen finden – die Präzisierung und Ergänzung von Sammlungsdaten ermöglicht. So lässt sich ein umfassendes Bild der Entstehungsbedingungen der ornithologischen Sammlung sowie ihrer Entwicklung am MfN zeichnen. Dies gibt für weitere Bestände am MfN und über die Institution hinaus wertvolle Hinweise zu Sammelpraktiken und -ökonomien im kolonialen Kontext und eröffnet Räume für transdisziplinäre Zusammenarbeit.
Steckbrief
- Titel: Skizzenbuch mit Vogelaquarellen
- Signatur: B001-02 34
- Provenienz: Forschungsstation Jaunde/Yaoundé (Kamerun 1889–1895), Zoologisches Museum des Museum für Naturkunde Berlin, Historische Arbeitsstelle/Archiv des Museum für Naturkunde Berlin
- Material: Papier/Karton, Wasserfarben, Bleistift
- Urheber:in: Georg August Zenker (1855–1922)
- Zeit der Entstehung: 1894
- Ort der Entstehung: Jaunde/Yaoundé
- Verschlagwortung: Aquarelle, Kamerun, Kolonie, Skizzenbuch, Vögel, Georg Zenker
Literatur
Bruchwitz, Arend: Koloniale Sammelpraktiken zwischen Kamerun und Berlin – Die Säugetierkustodie des Museums für Naturkunde 1889-1916, Sonderdruck 11, Berlin 2023.
Alexander Gall: "Lebende Tiere und inszenierte Natur", in: N.T.M. Zeitschrift für Geschichte der Wissenschaften, Technik und Medizin, Jg. 25 (2017), S. 169–209.
Katja Kaiser: "Georg Zenker: Bipindi ̶Berlin. Ein wissenschaftshistorischer Beitrag zur Sammelpraxis und Sammlungspolitik im deutschen Kolonialreich / A contribution to the history of science on the practice and politics of collecting in the German Colonial Empire. Une contribution à l‘histoire des sciences sur la pratique et la politique de collecte dans l'empire", hg. v. Patricia Rahemipour und Kathrin Grotz (= Berliner Schriften zur Museumsforschung, Bd. 039), Böhlau 2023.
Katja Kaiser: "Sammelpraxis und Sammlungspolitik. Das Beispiel Georg Zenker", in: Bipindi – Berlin. Ein wissenschaftshistorischer und künstlerischer Beitrag zur Kolonialgeschichte des Sammelns, (= KOSMOS Berlin – Forschungsperspektive Sammlungen, Bd. 1), hg. v. Patricia Rahemipour, Berlin 2018, S. 7–46.
Barbara Wittmann: "Das Porträt der Spezies. Zeichnen im Naturkundemuseum", in: Daten sichern. Schreiben und Zeichnen als Verfahren der Aufzeichnung, Reihe "Wissen im Entwurf", Bd. 1, hg. v. Christoph Hoffmann, Zürich, Berlin 2008, S. 47–72.
Sarina Schirmer, et al.: "Koloniale Verflechtungen: Transparenz und Forschung am Beispiel der ornithologischen Sammlung Georg Zenkers am Museum für Naturkunde Berlin", in: Die Vogelwarte. Zeitschrift für Vogelkunde. Jg. 61 (2023), Heft 4, S. 313–315.
Quellen
Johannes Mildbraed: „Georg Zenker“, in: Notizblatt des Königl. Botanischen Gartens und Museums zu Berlin, Jg. 8 (1923), Nr. 74, S. 319–321.
Karl Möbius: „Die I. No 670 betreffend den Vorbericht zur Sendung von Zenker-Jaunde-Station“, in: Acta betreffend über den Schriftwechsel und Sammellisten v. 1892-1928, MfN, HSBS, S004-02-02 1, Bl. 58.
Bildunterschriften
- Abb. 1: Vorderansicht Skizzenbuch "Vögel" von Georg Zenker, Forschungsstation Jaunde/Yaoundé, Wasserfarben und Bleistift auf Zeichenpapier, gebunden, Georg August Zenker, 1894, 34,5 x 25 x 1,5 cm, MfN, HBSB, B001-02 34, © Carola Radke, MfN.
- Abb. 2: Vogelbälge aus der ornithologischen Sammlung des Museums auf einer Seite des Skizzenbuches "Vögel" von Georg Zenker liegend, Forschungsstation Jaunde/Yaoundé, Wasserfarben und Bleistift auf Zeichenpapier, gebunden, Georg August Zenker, 1894, 34,5 x 25 x 1,5 cm, MfN, HBSB, B001-02 34, © Carola Radke, MfN.
- Abb. 3: Vogelbalg und Bilddetail des Skizzenbuchs "Vögel" von Georg Zenker, Forschungsstation Jaunde/Yaoundé, Wasserfarben und Bleistift auf Zeichenpapier, gebunden, Georg August Zenker, 1894, 34,5 x 25 x 1,5 cm, MfN, HBSB, B001-02 34, © Carola Radke, MfN.