Welche Fledermausarten übertragen welche Viren? Was kann uns Plankton über das Klima der Zukunft verraten? Wie helfen 100 Jahre alte Hummeln das Insektensterben zu verstehen? Und wie übernehmen wir Verantwortung für die politische Geschichte der Sammlung?
Die Erforschung dieser und weiterer Fragen ist nicht nur wissenschaftlich faszinierend, sondern wichtig für das Verständnis über die Natur und die Gestaltung einer nachhaltigen Welt. Zu den Erkenntnissen gelangen Forschende, indem sie etwa Fossilien, Modelle oder Archivmaterialien untersuchen, die aus der Sammlung am Museum für Naturkunde Berlin stammen. Jedes der insgesamt 30 Millionen Objekte birgt wertvolles Wissen. Mit diesem Wissen können wir herausfinden, was diese Welt biologisch und geologisch zusammenhält. In der Sammlung liegen viele Antworten auf die großen und drängenden Fragen, etwa zu Klimawandel, Evolution und Biodiversität. Sie liefert auch zahlreiche Impulse, zum Beispiel für Innovationen in Medizin und Technik sowie für Kunst und Medien. Und sie wächst stetig, etwa durch den Erwerb weiterer Sammlungsobjekte oder im Rahmen eigener Forschungstätigkeiten und der Kooperationsprojekte.
Was erforscht oder als Inspiration genutzt werden soll, muss auch gut erhalten sein. Rund 80 Prozent der Sammlung liegen noch in historischen Schränken und unsanierten Sammlungsräumen. Nur ein Bruchteil davon ist bis jetzt digitalisiert. Viele Objekte enthalten Informationen, die erst mit zukünftigen Technologien erschlossen werden können.
Wir sind uns der globalen Verantwortung bewusst. Um eine umfängliche Nutzung der Sammlung zu ermöglichen, wollen wir sie im Rahmen des Zukunftsplans erschließen – das heißt konservatorisch sichern, digital erfassen und innovative Nutzungszugänge schaffen. Wir wollen sie erweitern und die für die Nutzung notwendige Strukturen schaffen. Ein großer Teil aus der Finanzierung des Zukunftsplans stehen zur Verfügung. Über einhundert Mitarbeitende des Forschungsbereichs Zukunft der Sammlung und viele mehr arbeiten an diesem Vorhaben, von 2020 bis 2028 soll es umgesetzt werden.
Wir digitalisieren die Sammlung
Es ist eine Herkulesaufgabe: Die kleinsten Objekte sind staubkorngroß, die größten sind meterhohe Dinosaurierfossilien. Jedes Objekt nehmen wir in die Hand, reinigen es, überprüfen den Konservierungszustand, digitalisieren dazugehörige Informationen und lagern es in sichere, zeitgemäße Aufbewahrungssysteme. Die Objekte bekommen einen digitalen Identifier. Über Datenportale können Menschen von überall auf der Welt auf die Sammlung zugreifen und die mit den Objekten verbundenen Informationen abrufen. Bisher stehen sie auf Karteikarten und historischen Etiketten, in Zukunft werden sie alle auch in digitalen Datenbanken erfasst: Welche Art ist es? Woher stammt das Objekt? Wann und wer hat es gesammelt? Hinzukommen je nach Objektart weitere Inhalte, wie hochauflösende Fotografien, 3D-Modelle, Aufnahmen von Tierstimmen, DNA-Sequenzen oder relevante Forschungspublikationen.
Aus der Gesamtheit aller Daten und ihrer Vernetzung mit bereits vorhandenen Informationen entsteht eine Wissensinfrastruktur. Diese wollen wir vollständig in die globale Infrastrukturlandschaft integrieren. Das Wissen über die Sammlung wird mit qualitätsgeprüften Informationen durch Referenzsysteme angereichert und mit nutzergenerierten Inhalten von Bürgerforschenden ergänzt. So entsteht eine gigantische, vernetzte Wissenswolke, die stetig und mit immer anderen Perspektiven auf die Objekte angereichert werden kann.
Wir machen die Sammlung für alle zugänglich
Für die Forschung aus unterschiedlichen Disziplinen wie Evolutionsbiologie, Umweltwissenschaft oder Wissenschaftsgeschichte sind solche Informationen unverzichtbar. Wissenschaftler:innen in München, Japan, Argentinien oder anderen weiten Ländern können die Sammlungsobjekte anhand ihres digitalen Abbildes untersuchen, ohne in Bahn und Flugzeug steigen zu müssen. Doch nicht nur sie sollen davon profitieren. Wir wollen unsere Sammlung für alle zugänglich machen. Auch die interessierte Öffentlichkeit, die mittelständigen Unternehmen, Kunststudierende und viele weitere Nutzungsgruppen werden in Zukunft weltweit und zu jeder Zeit auf die Sammlungs- und Forschungsdaten zugreifen können – und so neue Impulse für Innovationen finden.
Ein Objekt kann damit zum Ausgangspunkt für eine virtuelle Reise werden und ganz neue Möglichkeiten eröffnen. Wenn zum Beispiel am Museum für Naturkunde eine Hummel digitalisiert wird, kann eine Forscherin in Japan sie am Computer untersuchen und neue Erkenntnisse über die Art generieren. Sie kann auch Startpunkt für eine Debatte sein – etwa über Biodiversitätsverlust. Man könnte aus der Sammlung auch entnehmen, welche Objekte von Frauen gesammelt wurden, von einem bestimmten Breitengrad stammen oder einen kolonialen Kontext haben. Oder aus tausenden Fotos von Schneckenhäusern ein kreatives Mosaik-Bild erstellen.
Darüber hinaus wollen wir unsere Expertise für Sammlungsdigitalisierung und -erschließung weitergeben – das sowohl im Museum als auch für andere Institutionen und Individuen. In einem Innovationszentrum „Center for Collection Future“ wollen wir Forschung betreiben, aber auch Weiterbildungen und Services anbieten. Wir entwickeln Angebote wie Digitization on Demand, bieten Beratungsservices, Fachausbildungen zur Probeanalytik und Präparation an und verleihen Geräte und Techniken.
Wir wollen die Menschen an unserer Arbeit teilhaben lassen und die Forschung als Prozess sichtbar und erlebbar gestalten, statt nur Ergebnisse zu zeigen. Besuchende können deshalb seit Eröffnung der Sonderausstellung digitize! im Museum für Naturkinde live mitverfolgen, wie mehrere tausend Wespen, Bienen und Ameisen am Tag in neue Unterbringungssysteme sortiert und digitalisiert werden. Sie können vor Ort sehen, was es bedeutet, eine umfangreiche naturkundliche Sammlung digital zu erschließen und wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen. Weitere Formate zum Mitmachen und Mitdenken werden folgen.
Zusammengefasst: Die Ziele unseres Projekts sind...
- die zeitgemäße und nachhaltige Aufbewahrung aller Sammlungsobjekte
- die dauerhafte Wissensarchivierung der Sammlungsobjekte in einem digital referenzierten Katalog
- die Bereitstellung und Management physischer und digitaler Objekte mittels international anschlussfähiger Standards
- die Wissensvernetzung und Möglichkeiten für qualitätsgeprüfte Datenanreicherung
- die Entwicklung barrierefreier, ganzheitlicher Zugänge zu den Sammlungsobjekten für möglichst viele Nutzungsgruppen und vielfältige Anwendungsmöglichkeiten
- die Bereitstellung entsprechender Services und Infrastrukturen
Um diese Ziele zu erreichen, haben wir das Projekt in vier komplementäre Teilprojekte gegliedert, die unterschiedliche Aspekte adressieren und gleichzeitig die jeweilig notwendigen Kompetenzen bündeln. Diese Teilprojekte sind:
- Sammlungsbezogene Forschung (Forschungscluster)
- Transformation
- Informationsmanagement
- Zugang, Innovation und Vernetzung
Einen ersten Überblick können Sie sich auch mithilfe unserer kurzen Erklärfilme verschaffen.