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Zeugnisse im Archiv: Markus Mailopu

Ansicht einer Büste von Markus Mailopu und Archivalien

Sandra Miehlbradt

Die Büsten des Museum für Naturkunde in Berlin stellen in der Regel Gelehrte der Naturwissenschaften – wie Alexander von Humboldt (1769–1859) oder Martin Hinrich Lichtenstein (1780–1857) dar. Ein besonderes Werk findet sich in den Beständen der Historischen Arbeitsstelle. Es wurde am 16. Februar 1996 aus der ornithologischen Kustodie übernommen. So ist es in einem Inventarbuch der Historischen Bild- und Schriftgutsammlungen dokumentiert.

Die Gipsbüste zeigt einen jungen Mann mit nach vorn gerichtetem Blick und wellig am Kopf anliegendem Haar auf einem schlichten Sockel. Auf der Rückseite desselben ist die Inschrift "FMEINECKE, 1912" zu lesen. Auf den ersten Blick handelt es sich um eine klassische Gelehrtendarstellung. Anders als es die Form suggeriert, zeigt die Büste jedoch keine der Öffentlichkeit bekannte Person. Und ein weiterer Aspekt hebt jene Büste von den anderen Objekten in der Sammlung ab: ihre Kolorierung.

Das Objekt stammt aus dem Nachlass Erwin Stresemanns (1889–1972), der als Kustos der Vogelsammlung am Berliner Museum für Naturkunde tätig war. Das Werk befand sich zunächst in seinem Privathaushalt und stand später in seinem Arbeitszimmer im Museum. Darauf angesprochen, wen der abgebildete junge Mann darstelle, soll Stresemann im Gespräch mit einem Schüler geäußert haben: "Das ist mein Freund, Markus Mailopu aus Seram".

Markus Mailopu (?–1914) war ein junger Mann, den Stresemann auf der zweiten Freiburger Molukken-Expedition (1910–1912) kennenlernte: ein malaiischer Einheimischer, der lokale Kenntnisse zur Verfügung stellte, zum Expeditionshelfer avancierte und im Anschluss Stresemann als Übersetzer und persönlicher Assistent nach Deutschland begleitete. So lautet Stresemanns Schilderung im unveröffentlichten Vorwort der 1918 erschienenen Publikation Die Paulohisprache.

Dass die lokale Bevölkerung vielfältige Beiträge zu europäischen Expeditionsvorhaben leistete, war ein wesentlicher und üblicher Bestandteil der Sammelpraxis im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert. Selten wurden die Namen der einheimischen Informanten, Träger, Jäger oder Präparatoren überliefert. Koloniale Machtverhältnisse führten vielmehr dazu, dass der Einfluss indigener Wissensbestände und die Mitarbeit der lokalen Bevölkerung negiert wurden. Die Büste Mailopus ist daher im doppelten Sinne bemerkenswert: Nicht nur ist der dargestellte Begleiter Stresemanns identifizierbar, weil er in mehreren Quellen namentlich erwähnt wird. Auch die Existenz seiner Büste ist im Kontext der hiesigen Memorialkultur in den Naturwissenschaften ungewöhnlich. Diese fokussierte sich auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts vor allem auf europäische Personen des öffentlichen Lebens.

Die Büste wurde im Jahr 1912 von Friedrich Meinecke (1873–1913), einem an der Großherzoglichen-Badischen Akademie der bildenden Künste in Karlsruhe ausgebildeten Künstler, geschaffen. Meinecke war vor allem für seine ethnografischen Darstellungen bekannt, die er unter anderem an das Freiburger Natur- und Völkerkundemuseum verkaufte. Seine Werke schuf er nach Fotografien, Abgüssen oder lebenden Modellen. Ob Mailopu für Meinecke Modell stand, kann nur gemutmaßt werden: Eine Portraitfotografie des jungen Mannes aus dem Jahr 1913 gibt als Entstehungsort Freiburg i. B. an, dem Wirkungsort Meineckes. Beide hielten sich demnach im Entstehungszeitraum der Büste in Freiburg auf.

Der Herstellungskontext der Büste ist nur eine der Fragen, die vorerst offen bleiben. Zu untersuchen wäre beispielweise der genaue Zweck der Büste, die Hintergründe der Darstellung sowie die Bedeutung des Objekts in Meineckes Werk. Handelt es sich um ein Objekt der Erinnerungskultur oder um eine ethnografische Studie? Wer war Markus Mailopu über die uns bislang vorliegenden Zeugnisse hinaus: Welche Quellen lassen sich finden, wo zeichnen sich Leerstellen ab und warum? Diese Fragen, die über eine archivische Verzeichnung von Autorschaft, Datierung, Provenienz und Materialität hinausgehen, fordern eine tiefergehende Analyse aus postkolonialer Perspektive heraus.

Steckbrief

  • Name: Büste von Markus Mailopu (?–1914)
  • Signatur: ZM B XII/38
  • Provenienz: Nachlass Erwin Stresemann, seit 1996 in der Historische Arbeitsstelle, übernommen aus der Kustodie Vögel/Ornithologie
  • Material: Gips, bemalt
  • Künstler: Friedrich Meinecke (1873–1913)
  • Jahr der Entstehung: 1912
  • Ort der Entstehung: wahrscheinlich Freiburg i. B.
  • Verschlagwortung: Skulptur, Molluken-Expedition, Erwin Stresemann, Markus Mailopu, Büste, Malaysia, Portrait, Friedrich Meinecke

Literatur

  • Jürgen Haffer und Ernst Mayr: Ornithologen-Briefe des 20. Jahrhunderts, Ludwigsburg 1997.
  • Jürgen Haffer, Erich Rutschke und Klaus Wunderlich (Hg.): "Erwin Stresemann (1889–1972). Leben und Werk eines Pioniers der wissenschaftlichen Ornithologie", in: Acta Historica Leopoldina, Nr. 34, Halle/Saale 2000.
  • Susan Legêne, Purwanto Bambang und Nordholt Henk Schulte: Sites, Bodies and Stories. Imagining Indonesian History, Singapur 2015.
  • Daniel Möller: Die Geschichte der Anthropologischen Sammlung Freiburg. Entstehung, Zusammenführung, Verlust, Marburg 2015.
  • Moritz Neuffer: "Im Betrachtungssystem. Ethnografische Modell um 1900", in: Das materielle Modell. Objektgeschichten aus der wissenschaftlichen Praxis, hg. v. David Ludwig, Cornelia Weber und Oliver Zauzig, München 2014, S. 217–223.
  • Eugeniusz Nowak: Professor Erwin Stresemann (1889–1972). Ein Sachse, der die Vogelkunde in den Rang einer biologischen Wissenschaft erhoben hat, Hohenstein-Ernstthal 2003.
  • Erwin Stresemann: Die Paulohisprache. Ein Beitrag zur amboinischen Sprachengruppe, Gravenhage 1918.

Bildunterschrift

  • o. T. [Büste von Markus Mailopu], Gips (bemalt), Friedrich Meinecke, 1912, 56 x 23,5 x 22 cm, MfN, HBSB, ZM B XII/38, © Carola Radke, MfN.