Direkt zum Inhalt

Dieses Virus ist auch der Preis unserer Ausbeutung der Natur

Viren lösen Krankheiten aus. Aber wie genau passiert das? Hinter welchen Krankheiten bei Mensch und Tier stecken Viren? Und welche Rolle spielen sie in der Evolution? Nachdem wir im ersten Teil nach dem Ursprung von Viren fragten – Forschende am Museum für Naturkunde Berlin wiesen bereits Viren an einem 289 Millionen Jahre alten Fossil nach –, drehte sich im zweiten Teil alles um Viren als Krankheitserreger. In diesem dritten und letzten Teil unserer Viren-Folge stellen wir fest: Das Virus ist der Preis der Ausbeutung der Natur durch den Menschen. Doch wie können wir uns schützen? Kann man sich Viren auch zu Nutze machen? Wer entdeckte eigentlich Viren? Und was haben die Fledermausforschenden am Museum für Naturkunde Berlin damit zu tun?

Der Sprung von Tier zu Mensch

Immer weiter dringt der Mensch auf der Suche nach Nahrung in bisher unbekannte Gefilde vor. Auf den Speiseplänen vieler Völker steht das sogenannte Bushmeat – Fledermäuse, Flughunde, Affen, Waldantilopen und viele andere Tierarten. Immer öfter schaffen daher Viren den Sprung auf den neuen Wirt – den Menschen – mit verheerender Wirkung. Denn der Mensch ist an das Virus nicht angepasst.

Insbesondere Fledermäuse scheinen nach neuestem Forschungsstand ein großes Reservoir potenziell tödlicher Viren, wie zum Beispiel Ebola, Tollwut und vieler noch unentdeckter Viren zu sein. Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis es nach Corona eine neue Epidemie gibt. Es sei denn, der Mensch denkt um und handelt nachhaltiger als bisher, forscht weiter, bildet sich weiter, klärt auf, kommuniziert die wissenschaftlichen Ergebnisse, so wie es Forschungsmuseen und andere Forschungsinstitutionen in unterschiedlichen Formaten machen. Denn alles hängt mit allem zusammen.
 

Was tötet Viren und wie können wir uns schützen?

Grundsätzlich reagieren Viren als Zellparasiten viel empfindlicher auf Umwelteinflüsse als zum Beispiel Pilze oder Bakterien. Die meisten Viren sterben außerhalb des Wirtes schnell ab. Ein längeres Überleben gelingt nur unter besonderen Umständen, zum Beispiel wenn sie mit Schleim oder Blut umhüllt sind.

Alle Viren sind wärmeempfindlich. Temperaturen über 60 Grad Celsius wirken bis auf wenige Ausnahmen in kürzester Zeit inaktivierend. Die gleichen Temperaturen im Minusbereich sind geeignet, Viren zu konservieren. Extrem empfindlich sind Viren gegen Austrocknung. Röntgenstrahlung, UV- und Sonnenlicht töten Viren ab. Von Ultraschallwellen werden Viren regelrecht zerbrochen. Auch extreme ph-Werte tolerieren Viren nicht. Ausnahmen sind Darmviren, die ph-Werte von 2 bis 3 ertragen müssen. Auch bestimmte chemische Verbindungen wie Laugen (Händewaschen mit Seife), Säuren und Oxydationsmittel töten Viren ab. Und natürlich hilft die Unterbrechung der Übertragungswege.

Wie man sich Viren zu Nutze machen kann

Manche Viren befallen Bakterien. Diese sogenannten (Bakterio-)Phagen haben zum Beispiel in der Medizin und vor allem im Bereich der Gentechnologie Anwendungen gefunden. So können mit Phagen bakterielle Erreger aufgespürt werden. Derzeit wird intensiv am Einsatz von Phagen als Ersatz für Resistenzen auf Antibiotika geforscht. Das Prinzip wurde lange vor Entdeckung des Penicillins und der Antibiotika erforscht, geriet aber dann mit Einführung von Antibiotika in Vergessenheit. Heute wird an der Polnischen Akademie der Wissenschaften die Phagentherapie bei ansonsten therapieresistenten bakteriellen Infektionen durchgeführt.

In der Gentechnik werden Phagen so präpariert, dass ihrem Genom die Gene, welche die Virulenz hervorrufen, entnommen und durch Gene ersetzt werden, die für gentechnologische Belange interessant sind. Man schleust sozusagen eine andere, gewollte DNA in die Virenhülle. So können zum Beispiel modifizierten Bakterienzellen weiterkultiviert werden, die Insulin produzieren.

Früher war alles besser? Geschichtliches zu Viren

Die ersten Zeugnisse über virusbedingte Krankheiten sind uralt – nur wusste damals niemand, dass es sich um Viren als Auslöser handelt. Bei Aristoteles finden sich Hinweise auf Tollwut bei Mensch und Tier (400 v.u.Z.). Eindeutige Beschreibungen von Tollwut, Masern und Pocken gibt es aus China des zweiten Jahrhunderts. Während der Zeit der Völkerwanderungen wird über Tierseuchen berichtet, die Züge der Völkerschaften begleiteten und als Maul- und Klauenseuche identifizierbar sind.

Im Jahre 1544 bekam Ghislain de Busbecq, Gesandter des Heiligen Römischen Reiches am Osmanischen Hof des Sultans Suleiman des Prächtigen, erstmals eine Tulpe zu sehen, die in Europa bis dahin völlig unbekannt war. 1576 beschrieb der niederländische Forscher Clusius erstmal völlig von selbst entstandene Streifen an der zu der Zeit äußerst begehrten Pflanze. Erst 1928 wurde die Virusnatur der Tulpenbuntstreifigkeit bewiesen.

1796 gelang dem britischen Apothekerlehrling Jenner die Entdeckung, dass Menschen, die an den leicht verlaufenden Kuhpocken erkrankt waren, nicht mit Menschenpocken erkrankten. Damit eröffnete sich die Möglichkeit der Immunisierung der Menschen. Die epochalen Entdeckungen von Pasteur und Koch setzten den Siegeszug der Mikrobiologie in Gang. Aber Viren konnten sie unter den Lichtmikroskopen nicht sehen. Erst 1889 gelang es dem Robert-Koch-Schüler Loeffler und dem Zoologen Frosch, den Erreger der Maul- und Klauenseuche aus den Schleimhautbläschen erkrankter Rinder herauszufiltern.

1935 lässt Stanley vom Rockefeller-Institut in den USA die Welt auf einem Mikrobiologenkongress in London aufhorchen: Er hatte das Tabakmosaikvirus als kristallines Protein dargestellt, also als chemische Verbindung, die sich vermehren lässt und dabei ihre Infektionsfähigkeit behält. Leben in Kristallform? Kurz darauf wurde erkannt, dass das Virus aus 95 Prozent Eiweiß und zu 5 Prozent aus Nukleinsäure besteht. Nach dem Bau und der Weiterentwicklung des Elektronenmikroskops gelangen 1938 die ersten elektronenoptischen Aufnahmen von Viren. Eine neue Welt tat sich auf. Die Entdeckung der Doppelhelixstruktur der DNS durch Watson und Crick 1953 und weitere Entdecklungen verhalfen der Virologie zu Aufschwung. Wie aktuell das Forschungsgebiet ist und in Zukunft bleiben wird, zeigt die aktuelle Pandemie.

Forschung am Museum für Naturkunde Berlin

Am Museum für Naturkunde Berlin wird für Natur geforscht:

  • Das Museum für Naturkunde Berlin betreibt seit Jahren intensiv Fledermausforschung. Zum Beispiel beschäftigten sich die Forschenden intensiv mit der Fragmentierung der Lebensräume durch den Menschen im Tiefland von Costa Rica und die Auswirkungen auf die dort lebenden fruchtfressenden Fledermäuse.
  • Ihre Opfer werden von der Vampirfledermaus gebissen (und damit Viren übertragen). Deren Blut dient als Nahrung, aber gegenüber ihren Artgenossen zeigt sie sich sozial. Ein Forscherteam um Projektleiter Simon Ripperger vom Museum für Naturkunde erforscht das Sozialverhalten der Vampirfledermaus Desmodus rotundus. Übrigens gibt es am Museum für Naturkunde Berlin ein Tierstimmenarchiv – und auch eine Referenzbibliothek für Fledermausrufe.
  • Abstandsregeln einhalten kennen auch Vampirfledermäuse: Eine Forschergruppe des MfN arbeitet an den Auswirkungen von Krankheitssyptomen auf das Verhalten von Vampirfledermäusen in Belize. Die Forschenden injizierten einer Testgruppe eine Substanz, die für mehrere Stunden grippeähnliche Symptome hervorruft, während eine Kontrollgruppe eine Salzlösung erhielt. Vampirfledermäuse sind dafür bekannt, dass sie enge soziale Bindungen pflegen. Im Krankenstand allerdings zeigten die Tiere in der Testgruppe deutlich weniger soziale Kontakte, verbrachten weniger Zeit in der Nähe anderer Tiere und waren sozial weniger vernetzt. In der Folge verringerte sich die Wahrscheinlichkeit, dass eine ‚kranke‘ Fledermaus auf eine Symptomfreie trifft. Nach zwei Tagen verschwanden die Unterschiede im Sozialverhalten zwischen Test- und Kontrollgruppe wieder.
  • „Artensterben und Naturzerstörung – dieses Virus ist auch der Preis unserer Ausbeutung der Natur“, schreibt der Generaldirektor des Museums für Naturkunde Berlin, Johannes Vogel,  in einem Gastbeitrag in Der Tagesspiegel.
  • Der Wissenschaftsstandort Berlin leistet einen wichtigen Beitrag zur effektiven Eindämmung des Corona-Virus. Forschungsinstitutionen wie das Robert Koch-Institut und die Charité Berlin informieren die Bevölkerung auf Basis wissenschaftlicher Expertise und beraten Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger in Politik und Gesellschaft. Im Sauriersaal fand noch im Februar 2020 eine Lecture über Pandemic Preparedness mit hochkarätigen Expertinnen und Experten statt.