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Natur der Dinge. Eine partizipative Sammlung des Anthropozäns

Objektcollage aus Sammlungsobjekten von Natur der Dinge

Ein Sammlungsexperiment

Bilder von brennendem Regenwald, die unvorstellbare Größenordnungen menschlicher Eingriffe in natürliche Lebensräume darstellen, oder Exponentialkurven, die den Anstieg des weltweiten CO2-Ausstoßes oder des Plastikvorkommens in den Weltmeeren zeigen: Diese Visualisierungen tragen entscheidend dazu bei, das Ausmaß der globalen Transformationen der Erde durch menschliches Handeln sichtbar zu machen. Doch helfen sie uns nur begrenzt, den Wandel in unserer Beziehung zur Natur im Einzelnen zu verstehen – und konkrete gesellschaftliche Handlungsoptionen zu entwickeln, um darauf zu reagieren.

Im Sammlungsexperiment Natur der Dinge geht es uns darum, sowohl die planetare Wirkmacht des Menschen als geologischem Faktor als auch seine Verstrickung in das Erdsystem und die Interaktion mit anderen Spezies subjektiv erfahrbar werden zu lassen. Als Verbundprojekt mit dem Muséum national d’Histoire naturelle Paris suchen wir nach neuen Formen der Wissensvermittlung im Kontext naturkundlicher Sammlungen. Im Zentrum steht dabei das kulturelle Wissen vom menschlichen Einfluss auf Natur: Wie formen gesellschaftlich geprägte, kollektive oder individuelle Vorstellungen unsere Beziehung zur Natur? Und was erzählen uns die materiellen Zeugnisse sich verändernder Mensch-Natur-Beziehungen –­ Alltagsgegenstände, Erinnerungsstücke, Objekte und Dokumente aus der Vergangenheit –­ über globale Transformationen?

Partizipatives, digitales, vernetztes Sammeln
 

Personen stehen vor dem verbildlichten Netzwerk der Anthropozänobjekte

Das explorative Projekt beginnt in einem offenen bottom up-Prozess mit einem Citizen Science-Ansatz noch einmal ganz neu zu sammeln. Über die geplante Plattform rufen wir Bürger*innen dazu auf, Objekte aus der Vergangenheit einzureichen, zu denen sie einen persönlichen Bezug haben und anhand derer sich die Veränderungen der Umwelt und des Mensch-Natur-Verhältnisses erzählen lassen,  z.B. anhand von Biodiversitätsverlust. Die digitale Repräsentation dieser natürlich-kulturellen Erinnerungsobjekte (vom Soundfile eines Vogelgesangs, einem alten Kochbuch mit vergessenen Gemüsesorten bis hin zur über Generationen gehegten Zimmerpflanze) ist jeweils verknüpft mit der persönlichen Geschichte der Finder*innen. User*innen können zudem verschiedene Verbindungen, Sortierungen und Kommentierungen der Objekte und ihrer Geschichten vornehmen. 

Dabei verfolgen wir einen explorativen Ansatz in dreierlei Hinsicht:

  • Thematisch zielt die Sammlung darauf, multiplen Perspektiven, ungehörten Geschichten und heterogenen Wahrnehmungen von Naturbeziehungen und ihrem Wandel einen Raum zu geben.
  • Methodisch ist sie als partizipative und digitale Sammlung angelegt. Im Austausch mit Citizen Scientists entsteht derzeit eine trilinguale (Deutsch, Französisch, Englisch) Online-Plattform, die als Sammlungs-, Ausstellungs- und Forschungsplattform Zugänge für unterschiedliche Nutzungen – Entdecken, Forschen, Mitwirken – schafft.
  • Auch die erhobenen Daten sind Teil des Explorationsprozesses: Kollektive Erinnerungen und Alltagsobjekte stehen genauso im Fokus wie ihre Vernetzung durch das gemeinsame Erzählen von Geschichten und kollektiv erstellte Metadaten.

Das Projekt geht aus einer deutsch-französischen Arbeitsgruppe zu Citizen Science hervor. Es wird inhaltlich und in seinen Ressourcen von beiden Partnern gleichberechtigt verantwortet, getragen und durchgeführt. Begleitend zum Aufbau der Sammlung finden verschiedene Veranstaltungen und Forschungskativitäten im Austausch mit Wissenschaftler*innen verschiedener Disziplinen statt sowie öffentliche Aktivierungsformate an den Museen in Berlin und Paris.

Naturkundliches Sammeln im "Zeitalter des Menschen"

Die Folgen menschlicher expansiver Lebens- und Produktionsweisen beeinflussen heute in entscheidendem Maße die biologischen, atmosphärischen und geologischen Prozesse auf der Erde. Sie sind bis in die Sedimente, die Gesteinsschichten der Erde hinein nachweisbar: Es gibt daher gute Gründe, die Gegenwart als Anthropozän, als "Zeitalter des Menschen", zu bezeichnen. Damit verbunden ist die Überzeugung, dass die Gegenüberstellung von Mensch und Natur nicht mehr haltbar ist. Und dass die zugehörige Einteilung des Wissens – in (Natur)Wissenschaft einerseits; Kunst, Kultur und Gesellschaft andererseits – nicht zielführend ist, wenn wir die Veränderungen unserer Gegenwart erfassen wollen.

Das "Anthropozän" versteht das Projekt insofern vor allem auch als Anlass, Impulse für die Neuorganisation des Wissens für unsere Gegenwart zu liefern: Das heißt auch, neu über die gesellschaftliche und kulturelle Dimension naturkundlicher Sammlungen nachzudenken. Es gilt, das vorhandene, reiche naturwissenschaftliche Wissen naturkundlicher Museen um kollektive, alltägliche, multiperspektivische Formen des Wissens über die Natur zu erweitern. Angesichts der globalen Herausforderungen geht es uns darum, im Dialog mit der Gesellschaft neue, hybride Formen des Wissens über die komplexen Verflechtungen von Mensch und Natur zu sammeln, zu verbinden und nutzbar zu machen.

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