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Hier wirkt Selektion

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Die Taufliege Drosophila melanogaster ist als Kulturfolger fast überall auf der Welt anzutreffen, wo Menschen Landwirtschaft treiben und Obst und Gemüse konsumieren. Von ihrem ursprünglichen Verbreitungsgebiet im tropischen Afrika wurde die Art mit den Nahrungsmitteln auch in Regionen mit deutlich kühlerem Klima eingeschleppt und musste sich anpassen. Für Populationsgenetiker:innen ist dies ein interessantes Beispiel, da die Veränderungen so schnell, innerhalb weniger Generationen erfolgen können, dass sie mit dem Darwin'schen Evolutionsmodell schwer zu erklären scheinen.

Senken der Vielfalt

Weitere Beispiele sind Echsen auf den Bahamas, die ihre Beinlänge an nach Tropenstürmen neue vorherrschende Vegetationstypen anpassen, die Darwinfinken der Galapagosinseln, die ihre Schnabelform verändern, oder das Schulbuchbeispiel des so genannten Industriemelanismus: Schmetterlinge, die in Ruß-belasteter Umwelt eine besser getarnte dunkle Farbe annehmen und bei weniger Luftverschmutzung ihre helle Färbung wieder annehmen.

Wie es Populationen innerhalb kurzer Zeit gelingen kann, sich an neue Umweltbedingungen anzupassen, ist Gegenstand aktueller Forschung am Museum für Naturkunde Berlin. "Um die genetische Grundlage schneller Anpassungen zu finden, suchen wir, wo im Erbgut die Selektion wirkt", sagt Projektleiter Wolfgang Stephan.

Zu erkennen ist das Wirken der natürlichen Auslese an der Vielfalt genetischer Varianten in einer Population: Nimmt diese an einem Ort im Erbgut, in einem bestimmten Abschnitt des Informationsträgers DNA, stark ab, sprechen Genetiker:innen von einem "selective sweep" – der Auslese einer genetischen Variante, die nun die Population prägt. Dabei sind nicht nur die entscheidende und zum Teil punktuelle Veränderung eines Gens betroffen, sondern auch benachbarte Bereiche im Erbgut.

Der Industriemelanismus ist ein Beispiel für ein Merkmal, das sich durch die Veränderung eines Genes wandelt. Meist werden Merkmale aber von mehr als einem Gen beeinflusst. Zum Beispiel sind an der Körpergröße von Menschen oder einer Neigung zu hohem Blutdruck hunderte Gene beteiligt. Die natürliche Auslese wirkt auf ein Merkmal, aber im Genom hinterlässt sie Spuren an zahlreichen Orten. "Es ist eine aktuelle Frage, wie man es nachweisen kann, wenn so zahlreiche Gene an einem Adaptationsprozess beteiligt sind", sagt Stephan – eine Frage, die auch für die Entwicklung von Therapien für Krankheiten entscheidend ist, die "polygen" verursacht sind.

Die Gruppe um den Evolutionsbiologen hat ein Computermodell entwickelt, mit dem sich die Effekte der Selektion im Erbgut erkennen lassen. Die Forschenden geben neben den entschlüsselten Genomen der untersuchten Organismen bekannte Größen wie die Raten von Rekombination und Mutation vor. Unter Rekombination versteht man die Umverteilung genetischer Merkmale bei geschlechtlicher Fortpflanzung. Mutationen sind zufällige Veränderungen, die etwa durch Fehler bei der Keimzellbildung zustande kommen können.

Bei Merkmalen, die von zahlreichen Genen bestimmt werden, kann auch schwache Selektion ausschlaggebend sein, die an vielen Stellen im Erbgut wirkt. Das Modell erkennt selbst geringe Änderungen der genetischen Variabilität, die durch Selektion verursacht sind.

Projekttitel

Modellierung und Inferenz von genomischen Signaturen polygener Selektion in schnellen Adaptationsprozessen

Laufzeit

01.07.2015 – 31.12.2018 und 01.11.2018 – 31.10.2021

Kooperationspartner

Technische Universität München

Finanzierung

Deutsche Forschungsgemeinschaft – DFG